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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Wie sie mich sonst in dem Garten anrief
oder auf dem Felde bey Seite winkte, wenn
sie mir etwas Besonderes zu sagen hatte, so
that sie auch hier, indem sie mich in eine
Fenstertiefe zog; sie that es mit Verlegenheit
und ungeschickt, weil sie fühlte, daß es nicht
paßte und es doch that. Sie hatte mir das
Unwichtigste von der Welt zu sagen, nichts
als was ich schon wußte: daß es ihr entsetz¬
lich weh sey, daß sie sich an den Rhein,
über den Rhein, ja in die Türkey wünsche.
Friedrike hingegen war in dieser Lage höchst
merkwürdig. Eigentlich genommen paßte sie
auch nicht hinein; aber dieß zeugte für ihren
Charakter, daß sie, anstatt sich in diesen Zu¬
stand zu finden, unbewußt den Zustand nach
sich modelte. Wie sie auf dem Lande mit
der Gesellschaft gebarte, so that sie es auch
hier. Jeden Augenblick wußte sie zu beleben.
Ohne zu beunruhigen setzte sie alles in Be¬
wegung und beruhigte gerade dadurch die Ge¬
sellschaft, die eigentlich nur von der Langen¬

Wie ſie mich ſonſt in dem Garten anrief
oder auf dem Felde bey Seite winkte, wenn
ſie mir etwas Beſonderes zu ſagen hatte, ſo
that ſie auch hier, indem ſie mich in eine
Fenſtertiefe zog; ſie that es mit Verlegenheit
und ungeſchickt, weil ſie fuͤhlte, daß es nicht
paßte und es doch that. Sie hatte mir das
Unwichtigſte von der Welt zu ſagen, nichts
als was ich ſchon wußte: daß es ihr entſetz¬
lich weh ſey, daß ſie ſich an den Rhein,
uͤber den Rhein, ja in die Tuͤrkey wuͤnſche.
Friedrike hingegen war in dieſer Lage hoͤchſt
merkwuͤrdig. Eigentlich genommen paßte ſie
auch nicht hinein; aber dieß zeugte fuͤr ihren
Charakter, daß ſie, anſtatt ſich in dieſen Zu¬
ſtand zu finden, unbewußt den Zuſtand nach
ſich modelte. Wie ſie auf dem Lande mit
der Geſellſchaft gebarte, ſo that ſie es auch
hier. Jeden Augenblick wußte ſie zu beleben.
Ohne zu beunruhigen ſetzte ſie alles in Be¬
wegung und beruhigte gerade dadurch die Ge¬
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[52/0060] Wie ſie mich ſonſt in dem Garten anrief oder auf dem Felde bey Seite winkte, wenn ſie mir etwas Beſonderes zu ſagen hatte, ſo that ſie auch hier, indem ſie mich in eine Fenſtertiefe zog; ſie that es mit Verlegenheit und ungeſchickt, weil ſie fuͤhlte, daß es nicht paßte und es doch that. Sie hatte mir das Unwichtigſte von der Welt zu ſagen, nichts als was ich ſchon wußte: daß es ihr entſetz¬ lich weh ſey, daß ſie ſich an den Rhein, uͤber den Rhein, ja in die Tuͤrkey wuͤnſche. Friedrike hingegen war in dieſer Lage hoͤchſt merkwuͤrdig. Eigentlich genommen paßte ſie auch nicht hinein; aber dieß zeugte fuͤr ihren Charakter, daß ſie, anſtatt ſich in dieſen Zu¬ ſtand zu finden, unbewußt den Zuſtand nach ſich modelte. Wie ſie auf dem Lande mit der Geſellſchaft gebarte, ſo that ſie es auch hier. Jeden Augenblick wußte ſie zu beleben. Ohne zu beunruhigen ſetzte ſie alles in Be¬ wegung und beruhigte gerade dadurch die Ge¬ ſellſchaft, die eigentlich nur von der Langen¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/60>, abgerufen am 28.11.2024.