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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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ner edlen Natur entgegensetzen und sie zu
Grunde richten, wollt' ich in Carlos den rei¬
nen Weltverstand mit wahrer Freundschaft ge¬
gen Leidenschaft, Neigung und äußere Be¬
drängniß wirken lassen, um auch einmal auf
diese Weise eine Tragödie zu motiviren. Be¬
rechtigt durch unsern Altvater Shakespear,
nahm ich nicht einen Augenblick Anstand die
Hauptscene und die eigentlich theatralische
Darstellung wörtlich zu übersetzen. Um zu¬
letzt abzuschließen, entlehnt' ich den Schluß
einer englischen Ballade, und so war ich im¬
mer noch eher fertig als der Freytag heran¬
kam. Die gute Wirkung, die ich beym Vor¬
lesen erreichte, wird man mir leicht zugeste¬
hen. Meine gebietende Gattinn erfreute sich
nicht wenig daran, und es war, als wenn
unser Verhältniß, wie durch eine geistige Nach¬
kommenschaft, durch diese Production sich en¬
ger zusammen zöge und befestigte.

ner edlen Natur entgegenſetzen und ſie zu
Grunde richten, wollt' ich in Carlos den rei¬
nen Weltverſtand mit wahrer Freundſchaft ge¬
gen Leidenſchaft, Neigung und aͤußere Be¬
draͤngniß wirken laſſen, um auch einmal auf
dieſe Weiſe eine Tragoͤdie zu motiviren. Be¬
rechtigt durch unſern Altvater Shakespear,
nahm ich nicht einen Augenblick Anſtand die
Hauptſcene und die eigentlich theatraliſche
Darſtellung woͤrtlich zu uͤberſetzen. Um zu¬
letzt abzuſchließen, entlehnt' ich den Schluß
einer engliſchen Ballade, und ſo war ich im¬
mer noch eher fertig als der Freytag heran¬
kam. Die gute Wirkung, die ich beym Vor¬
leſen erreichte, wird man mir leicht zugeſte¬
hen. Meine gebietende Gattinn erfreute ſich
nicht wenig daran, und es war, als wenn
unſer Verhaͤltniß, wie durch eine geiſtige Nach¬
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[533/0541] ner edlen Natur entgegenſetzen und ſie zu Grunde richten, wollt' ich in Carlos den rei¬ nen Weltverſtand mit wahrer Freundſchaft ge¬ gen Leidenſchaft, Neigung und aͤußere Be¬ draͤngniß wirken laſſen, um auch einmal auf dieſe Weiſe eine Tragoͤdie zu motiviren. Be¬ rechtigt durch unſern Altvater Shakespear, nahm ich nicht einen Augenblick Anſtand die Hauptſcene und die eigentlich theatraliſche Darſtellung woͤrtlich zu uͤberſetzen. Um zu¬ letzt abzuſchließen, entlehnt' ich den Schluß einer engliſchen Ballade, und ſo war ich im¬ mer noch eher fertig als der Freytag heran¬ kam. Die gute Wirkung, die ich beym Vor¬ leſen erreichte, wird man mir leicht zugeſte¬ hen. Meine gebietende Gattinn erfreute ſich nicht wenig daran, und es war, als wenn unſer Verhaͤltniß, wie durch eine geiſtige Nach¬ kommenſchaft, durch dieſe Production ſich en¬ ger zuſammen zoͤge und befeſtigte.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/541>, abgerufen am 24.11.2024.