Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

sich eine traurige Verbannung zugezogen ha¬
ben. Ich bemitleidete sie, ihr Zustand war
von den Alten schon als wahrhaft tragisch
anerkannt, und wenn ich sie als Glieder ei¬
ner ungeheuren Opposition im Hintergrunde
meiner Iphigenie zeigte, so bin ich ihnen
wohl einen Theil der Wirkung schuldig, wel¬
che dieses Stück hervorzubringen das Glück
hatte.

Zu jener Zeit aber ging bey mir das Dich¬
ten und Bilden unaufhaltsam miteinander.
Ich, zeichnete die Portraite meiner Freunde
im Profil auf grau Papier mit weißer und
schwarzer Kreide. Wenn ich dictirte oder
mir vorlesen ließ, entwarf ich die Stellungen
der Schreibenden und Lesenden, mit ihrer Um¬
gebung; die Aehnlichkeit war nicht zu verken¬
nen und die Blätter wurden gut aufgenom¬
men. Diesen Vortheil haben Dilettanten im¬
mer, weil sie ihre Arbeit umsonst geben.
Das Unzulängliche dieses Abbildens jedoch

ſich eine traurige Verbannung zugezogen ha¬
ben. Ich bemitleidete ſie, ihr Zuſtand war
von den Alten ſchon als wahrhaft tragiſch
anerkannt, und wenn ich ſie als Glieder ei¬
ner ungeheuren Oppoſition im Hintergrunde
meiner Iphigenie zeigte, ſo bin ich ihnen
wohl einen Theil der Wirkung ſchuldig, wel¬
che dieſes Stuͤck hervorzubringen das Gluͤck
hatte.

Zu jener Zeit aber ging bey mir das Dich¬
ten und Bilden unaufhaltſam miteinander.
Ich, zeichnete die Portraite meiner Freunde
im Profil auf grau Papier mit weißer und
ſchwarzer Kreide. Wenn ich dictirte oder
mir vorleſen ließ, entwarf ich die Stellungen
der Schreibenden und Leſenden, mit ihrer Um¬
gebung; die Aehnlichkeit war nicht zu verken¬
nen und die Blaͤtter wurden gut aufgenom¬
men. Dieſen Vortheil haben Dilettanten im¬
mer, weil ſie ihre Arbeit umſonſt geben.
Das Unzulaͤngliche dieſes Abbildens jedoch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0488" n="480"/>
&#x017F;ich eine traurige Verbannung zugezogen ha¬<lb/>
ben. Ich bemitleidete &#x017F;ie, ihr Zu&#x017F;tand war<lb/>
von den Alten &#x017F;chon als wahrhaft tragi&#x017F;ch<lb/>
anerkannt, und wenn ich &#x017F;ie als Glieder ei¬<lb/>
ner ungeheuren Oppo&#x017F;ition im Hintergrunde<lb/>
meiner <hi rendition="#g">Iphigenie</hi> zeigte, &#x017F;o bin ich ihnen<lb/>
wohl einen Theil der Wirkung &#x017F;chuldig, wel¬<lb/>
che die&#x017F;es Stu&#x0364;ck hervorzubringen das Glu&#x0364;ck<lb/>
hatte.</p><lb/>
        <p>Zu jener Zeit aber ging bey mir das Dich¬<lb/>
ten und Bilden unaufhalt&#x017F;am miteinander.<lb/>
Ich, zeichnete die Portraite meiner Freunde<lb/>
im Profil auf grau Papier mit weißer und<lb/>
&#x017F;chwarzer Kreide. Wenn ich dictirte oder<lb/>
mir vorle&#x017F;en ließ, entwarf ich die Stellungen<lb/>
der Schreibenden und Le&#x017F;enden, mit ihrer Um¬<lb/>
gebung; die Aehnlichkeit war nicht zu verken¬<lb/>
nen und die Bla&#x0364;tter wurden gut aufgenom¬<lb/>
men. Die&#x017F;en Vortheil haben Dilettanten im¬<lb/>
mer, weil &#x017F;ie ihre Arbeit um&#x017F;on&#x017F;t geben.<lb/>
Das Unzula&#x0364;ngliche die&#x017F;es Abbildens jedoch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[480/0488] ſich eine traurige Verbannung zugezogen ha¬ ben. Ich bemitleidete ſie, ihr Zuſtand war von den Alten ſchon als wahrhaft tragiſch anerkannt, und wenn ich ſie als Glieder ei¬ ner ungeheuren Oppoſition im Hintergrunde meiner Iphigenie zeigte, ſo bin ich ihnen wohl einen Theil der Wirkung ſchuldig, wel¬ che dieſes Stuͤck hervorzubringen das Gluͤck hatte. Zu jener Zeit aber ging bey mir das Dich¬ ten und Bilden unaufhaltſam miteinander. Ich, zeichnete die Portraite meiner Freunde im Profil auf grau Papier mit weißer und ſchwarzer Kreide. Wenn ich dictirte oder mir vorleſen ließ, entwarf ich die Stellungen der Schreibenden und Leſenden, mit ihrer Um¬ gebung; die Aehnlichkeit war nicht zu verken¬ nen und die Blaͤtter wurden gut aufgenom¬ men. Dieſen Vortheil haben Dilettanten im¬ mer, weil ſie ihre Arbeit umſonſt geben. Das Unzulaͤngliche dieſes Abbildens jedoch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/488
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/488>, abgerufen am 10.05.2024.