Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

wird mehr Vorwand als Zweck, alle denkba¬
ren Mittel müssen benutzt werden; es fehlt
nicht an Grausamkeiten. Eine Frau, deren
Mann er hat hinrichten lassen, vergiftet ihn.
Im fünften fühlt er sich vergiftet. Seine
große Fassung, die Wiederkehr zu sich selbst,
zum höheren Sinne, machen ihn der Be¬
wunderung würdig. Er reinigt seine Lehre,
befestigt sein Reich und stirbt.

So war der Entwurf einer Arbeit, die
mich lange im Geist beschäftigte: denn ge¬
wöhnlich mußte ich erst etwas im Sinne bey¬
sammen haben, eh ich zur Ausführung schritt.
Alles was das Genie durch Character und
Geist über die Menschen vermag, sollte dar¬
gestellt werden, und wie es dabey gewinnt
und verliert. Mehrere einzuschaltende Ge¬
sänge wurden vorläufig gedichtet, von denen
ist allein noch übrig, was überschrieben Ma¬
homets Gesang, unter meinen Gedich¬

wird mehr Vorwand als Zweck, alle denkba¬
ren Mittel muͤſſen benutzt werden; es fehlt
nicht an Grauſamkeiten. Eine Frau, deren
Mann er hat hinrichten laſſen, vergiftet ihn.
Im fuͤnften fuͤhlt er ſich vergiftet. Seine
große Faſſung, die Wiederkehr zu ſich ſelbſt,
zum hoͤheren Sinne, machen ihn der Be¬
wunderung wuͤrdig. Er reinigt ſeine Lehre,
befeſtigt ſein Reich und ſtirbt.

So war der Entwurf einer Arbeit, die
mich lange im Geiſt beſchaͤftigte: denn ge¬
woͤhnlich mußte ich erſt etwas im Sinne bey¬
ſammen haben, eh ich zur Ausfuͤhrung ſchritt.
Alles was das Genie durch Character und
Geiſt uͤber die Menſchen vermag, ſollte dar¬
geſtellt werden, und wie es dabey gewinnt
und verliert. Mehrere einzuſchaltende Ge¬
ſaͤnge wurden vorlaͤufig gedichtet, von denen
iſt allein noch uͤbrig, was uͤberſchrieben Ma¬
homets Geſang, unter meinen Gedich¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0463" n="455"/>
wird mehr Vorwand als Zweck, alle denkba¬<lb/>
ren Mittel mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en benutzt werden; es fehlt<lb/>
nicht an Grau&#x017F;amkeiten. Eine Frau, deren<lb/>
Mann er hat hinrichten la&#x017F;&#x017F;en, vergiftet ihn.<lb/>
Im fu&#x0364;nften fu&#x0364;hlt er &#x017F;ich vergiftet. Seine<lb/>
große Fa&#x017F;&#x017F;ung, die Wiederkehr zu &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
zum ho&#x0364;heren Sinne, machen ihn der Be¬<lb/>
wunderung wu&#x0364;rdig. Er reinigt &#x017F;eine Lehre,<lb/>
befe&#x017F;tigt &#x017F;ein Reich und &#x017F;tirbt.</p><lb/>
        <p>So war der Entwurf einer Arbeit, die<lb/>
mich lange im Gei&#x017F;t be&#x017F;cha&#x0364;ftigte: denn ge¬<lb/>
wo&#x0364;hnlich mußte ich er&#x017F;t etwas im Sinne bey¬<lb/>
&#x017F;ammen haben, eh ich zur Ausfu&#x0364;hrung &#x017F;chritt.<lb/>
Alles was das Genie durch Character und<lb/>
Gei&#x017F;t u&#x0364;ber die Men&#x017F;chen vermag, &#x017F;ollte dar¬<lb/>
ge&#x017F;tellt werden, und wie es dabey gewinnt<lb/>
und verliert. Mehrere einzu&#x017F;chaltende Ge¬<lb/>
&#x017F;a&#x0364;nge wurden vorla&#x0364;ufig gedichtet, von denen<lb/>
i&#x017F;t allein noch u&#x0364;brig, was u&#x0364;ber&#x017F;chrieben <hi rendition="#g">Ma</hi>¬<lb/><hi rendition="#g">homets Ge&#x017F;ang</hi>, unter meinen Gedich¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[455/0463] wird mehr Vorwand als Zweck, alle denkba¬ ren Mittel muͤſſen benutzt werden; es fehlt nicht an Grauſamkeiten. Eine Frau, deren Mann er hat hinrichten laſſen, vergiftet ihn. Im fuͤnften fuͤhlt er ſich vergiftet. Seine große Faſſung, die Wiederkehr zu ſich ſelbſt, zum hoͤheren Sinne, machen ihn der Be¬ wunderung wuͤrdig. Er reinigt ſeine Lehre, befeſtigt ſein Reich und ſtirbt. So war der Entwurf einer Arbeit, die mich lange im Geiſt beſchaͤftigte: denn ge¬ woͤhnlich mußte ich erſt etwas im Sinne bey¬ ſammen haben, eh ich zur Ausfuͤhrung ſchritt. Alles was das Genie durch Character und Geiſt uͤber die Menſchen vermag, ſollte dar¬ geſtellt werden, und wie es dabey gewinnt und verliert. Mehrere einzuſchaltende Ge¬ ſaͤnge wurden vorlaͤufig gedichtet, von denen iſt allein noch uͤbrig, was uͤberſchrieben Ma¬ homets Geſang, unter meinen Gedich¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/463
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/463>, abgerufen am 09.05.2024.