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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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des Erbauten und Angedeuteten hätte heraus¬
helfen können, wie es jetzt wohl durch unsere
fleißigen beharrlichen Freunde geschieht. In
Gesellschaft bewunderte ich zwar diese merk¬
würdigen Hallen und Pfeiler, aber einsam
versenkte ich mich in dieses, mitten in seiner
Erschaffung, fern von der Vollendung schon
erstarrte Weltgebäude, immer mismuthig.
Hier war abermals ein ungeheuerer Gedanke
nicht zur Ausführung gekommen! Scheint es
doch, als wäre die Architectur nur da, um
uns zu überzeugen, daß durch mehrere Men¬
schen, in einer Folge von Zeit, nichts zu lei¬
sten ist, und daß in Künsten und Thaten
nur dasjenige zu Stande kommt, was, wie
Minerva, erwachsen und gerüstet aus des
Erfinders Haupt hervorspringt.

In diesen mehr drückenden als herzerhe¬
benden Augenblicken ahndete ich nicht, daß
mich das zarteste und schönste Gefühl so ganz

des Erbauten und Angedeuteten haͤtte heraus¬
helfen koͤnnen, wie es jetzt wohl durch unſere
fleißigen beharrlichen Freunde geſchieht. In
Geſellſchaft bewunderte ich zwar dieſe merk¬
wuͤrdigen Hallen und Pfeiler, aber einſam
verſenkte ich mich in dieſes, mitten in ſeiner
Erſchaffung, fern von der Vollendung ſchon
erſtarrte Weltgebaͤude, immer mismuthig.
Hier war abermals ein ungeheuerer Gedanke
nicht zur Ausfuͤhrung gekommen! Scheint es
doch, als waͤre die Architectur nur da, um
uns zu uͤberzeugen, daß durch mehrere Men¬
ſchen, in einer Folge von Zeit, nichts zu lei¬
ſten iſt, und daß in Kuͤnſten und Thaten
nur dasjenige zu Stande kommt, was, wie
Minerva, erwachſen und geruͤſtet aus des
Erfinders Haupt hervorſpringt.

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[436/0444] des Erbauten und Angedeuteten haͤtte heraus¬ helfen koͤnnen, wie es jetzt wohl durch unſere fleißigen beharrlichen Freunde geſchieht. In Geſellſchaft bewunderte ich zwar dieſe merk¬ wuͤrdigen Hallen und Pfeiler, aber einſam verſenkte ich mich in dieſes, mitten in ſeiner Erſchaffung, fern von der Vollendung ſchon erſtarrte Weltgebaͤude, immer mismuthig. Hier war abermals ein ungeheuerer Gedanke nicht zur Ausfuͤhrung gekommen! Scheint es doch, als waͤre die Architectur nur da, um uns zu uͤberzeugen, daß durch mehrere Men¬ ſchen, in einer Folge von Zeit, nichts zu lei¬ ſten iſt, und daß in Kuͤnſten und Thaten nur dasjenige zu Stande kommt, was, wie Minerva, erwachſen und geruͤſtet aus des Erfinders Haupt hervorſpringt. In dieſen mehr druͤckenden als herzerhe¬ benden Augenblicken ahndete ich nicht, daß mich das zarteſte und ſchoͤnſte Gefuͤhl ſo ganz

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/444>, abgerufen am 24.11.2024.