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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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seinen Vortheil, sich anzuschließen, und
ich hatte mich in diese bedeutende Gesell¬
schaft schon so eingewohnt, daß ich es nicht
über mich gewinnen konnte, sie zu verlassen.
Eine sehr angenehme, Herz und Sinn er¬
freuende Fahrt hatten wir die Lahn hinab.
Beym Anblick einer merkwürdigen Burgruine
schrieb ich jenes Lied: "Hoch auf dem alten
Thurme steht" in Lipsens Stammbuch, und
als es wohl aufgenommen wurde, um, nach
meiner bösen Art, den Eindruck wieder zu
verderben, allerley Knittelreime und Possen
auf die nächsten Blätter. Ich freute mich
den herrlichen Rhein wiederzusehn, und er¬
getzte mich an der Ueberraschung derer, die
dieses Schauspiel noch nicht genossen hatten.
Nun landeten wir in Coblenz; wohin wir
traten, war der Zudrang sehr groß, und je¬
der von uns dreyen erregte nach seiner Art
Antheil und Neugierde. Basedow und ich
schienen zu wetteifern, wer am unartigsten
seyn könnte; Lavater benahm sich vernünftig

ſeinen Vortheil, ſich anzuſchließen, und
ich hatte mich in dieſe bedeutende Geſell¬
ſchaft ſchon ſo eingewohnt, daß ich es nicht
uͤber mich gewinnen konnte, ſie zu verlaſſen.
Eine ſehr angenehme, Herz und Sinn er¬
freuende Fahrt hatten wir die Lahn hinab.
Beym Anblick einer merkwuͤrdigen Burgruine
ſchrieb ich jenes Lied: „Hoch auf dem alten
Thurme ſteht“ in Lipſens Stammbuch, und
als es wohl aufgenommen wurde, um, nach
meiner boͤſen Art, den Eindruck wieder zu
verderben, allerley Knittelreime und Poſſen
auf die naͤchſten Blaͤtter. Ich freute mich
den herrlichen Rhein wiederzuſehn, und er¬
getzte mich an der Ueberraſchung derer, die
dieſes Schauſpiel noch nicht genoſſen hatten.
Nun landeten wir in Coblenz; wohin wir
traten, war der Zudrang ſehr groß, und je¬
der von uns dreyen erregte nach ſeiner Art
Antheil und Neugierde. Baſedow und ich
ſchienen zu wetteifern, wer am unartigſten
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[428/0436] ſeinen Vortheil, ſich anzuſchließen, und ich hatte mich in dieſe bedeutende Geſell¬ ſchaft ſchon ſo eingewohnt, daß ich es nicht uͤber mich gewinnen konnte, ſie zu verlaſſen. Eine ſehr angenehme, Herz und Sinn er¬ freuende Fahrt hatten wir die Lahn hinab. Beym Anblick einer merkwuͤrdigen Burgruine ſchrieb ich jenes Lied: „Hoch auf dem alten Thurme ſteht“ in Lipſens Stammbuch, und als es wohl aufgenommen wurde, um, nach meiner boͤſen Art, den Eindruck wieder zu verderben, allerley Knittelreime und Poſſen auf die naͤchſten Blaͤtter. Ich freute mich den herrlichen Rhein wiederzuſehn, und er¬ getzte mich an der Ueberraſchung derer, die dieſes Schauſpiel noch nicht genoſſen hatten. Nun landeten wir in Coblenz; wohin wir traten, war der Zudrang ſehr groß, und je¬ der von uns dreyen erregte nach ſeiner Art Antheil und Neugierde. Baſedow und ich ſchienen zu wetteifern, wer am unartigſten ſeyn koͤnnte; Lavater benahm ſich vernuͤnftig

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/436>, abgerufen am 13.05.2024.