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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Um wie viel größer war nun meine
Sehnsucht nach Lavatern. Auch er schien sich
zu freuen, als er mich wieder sah, vertrau¬
te mir manches bisher Erfahrne, besonders
was sich auf den verschiedenen Character der
Mitgäste bezog, unter denen er sich schon
viele Freunde und Anhänger zu verschaffen
gewußt. Nun fand ich selbst manchen alten
Bekannten, und an denen die ich in Jahren
nicht gesehn, fing ich an die Bemerkung zu
machen, die uns in der Jugend lange ver¬
borgen bleibt, daß die Männer altern, und
die Frauen sich verändern. Die Gesellschaft
nahm täglich zu. Es ward unmäßig getanzt,
und weil man sich in den beyden großen Ba¬
dehäusern ziemlich nahe berührte, bey guter
und genauer Bekanntschaft, mancherley Scherz
getrieben. Einst verkleidete ich mich in einen
Dorfgeistlichen, und ein namhafter Freund
in dessen Gattinn; wir fielen der vornehmen
Gesellschaft durch allzu große Höflichkeit ziem¬
lich zur Last, wodurch denn Jederman in

Um wie viel groͤßer war nun meine
Sehnſucht nach Lavatern. Auch er ſchien ſich
zu freuen, als er mich wieder ſah, vertrau¬
te mir manches bisher Erfahrne, beſonders
was ſich auf den verſchiedenen Character der
Mitgaͤſte bezog, unter denen er ſich ſchon
viele Freunde und Anhaͤnger zu verſchaffen
gewußt. Nun fand ich ſelbſt manchen alten
Bekannten, und an denen die ich in Jahren
nicht geſehn, fing ich an die Bemerkung zu
machen, die uns in der Jugend lange ver¬
borgen bleibt, daß die Maͤnner altern, und
die Frauen ſich veraͤndern. Die Geſellſchaft
nahm taͤglich zu. Es ward unmaͤßig getanzt,
und weil man ſich in den beyden großen Ba¬
dehaͤuſern ziemlich nahe beruͤhrte, bey guter
und genauer Bekanntſchaft, mancherley Scherz
getrieben. Einſt verkleidete ich mich in einen
Dorfgeiſtlichen, und ein namhafter Freund
in deſſen Gattinn; wir fielen der vornehmen
Geſellſchaft durch allzu große Hoͤflichkeit ziem¬
lich zur Laſt, wodurch denn Jederman in

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[422/0430] Um wie viel groͤßer war nun meine Sehnſucht nach Lavatern. Auch er ſchien ſich zu freuen, als er mich wieder ſah, vertrau¬ te mir manches bisher Erfahrne, beſonders was ſich auf den verſchiedenen Character der Mitgaͤſte bezog, unter denen er ſich ſchon viele Freunde und Anhaͤnger zu verſchaffen gewußt. Nun fand ich ſelbſt manchen alten Bekannten, und an denen die ich in Jahren nicht geſehn, fing ich an die Bemerkung zu machen, die uns in der Jugend lange ver¬ borgen bleibt, daß die Maͤnner altern, und die Frauen ſich veraͤndern. Die Geſellſchaft nahm taͤglich zu. Es ward unmaͤßig getanzt, und weil man ſich in den beyden großen Ba¬ dehaͤuſern ziemlich nahe beruͤhrte, bey guter und genauer Bekanntſchaft, mancherley Scherz getrieben. Einſt verkleidete ich mich in einen Dorfgeiſtlichen, und ein namhafter Freund in deſſen Gattinn; wir fielen der vornehmen Geſellſchaft durch allzu große Hoͤflichkeit ziem¬ lich zur Laſt, wodurch denn Jederman in

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/430>, abgerufen am 13.05.2024.