so erzählte ich ihm wie andern meine Absicht mit Faust, besonders die Catastrophe von Gret¬ chen. Er faßte das Süjet auf, und benutzte es für ein Trauerspiel, die Kindesmörde¬ rinn. Es war das erste Mal, daß mir Je¬ mand etwas von meinen Vorsätzen wegschnapp¬ te; es verdroß mich, ohne daß ich's ihm nach¬ getragen hätte. Ich habe dergleichen Gedan¬ kenraub und Vorwegnahmen nachher noch oft genug erlebt, und hatte mich, bey meinem Zaudern und Beschwätzen so manches Vorge¬ setzten und Eingebildeten, nicht mit Recht zu beschweren.
Wenn Redner und Schriftsteller, in Be¬ tracht der großen Wirkung welche dadurch her¬ vorzubringen ist, sich gern der Contraste be¬ dienen, und sollten sie auch erst aufgesucht und herbeygeholt werden; so muß es dem Verfasser um so angenehmer seyn, daß ein entschiedener Gegensatz sich ihm anbietet, in¬ dem er nach Lenzen von Klingern zu spre¬
ſo erzaͤhlte ich ihm wie andern meine Abſicht mit Fauſt, beſonders die Cataſtrophe von Gret¬ chen. Er faßte das Suͤjet auf, und benutzte es fuͤr ein Trauerſpiel, die Kindesmoͤrde¬ rinn. Es war das erſte Mal, daß mir Je¬ mand etwas von meinen Vorſaͤtzen wegſchnapp¬ te; es verdroß mich, ohne daß ich's ihm nach¬ getragen haͤtte. Ich habe dergleichen Gedan¬ kenraub und Vorwegnahmen nachher noch oft genug erlebt, und hatte mich, bey meinem Zaudern und Beſchwaͤtzen ſo manches Vorge¬ ſetzten und Eingebildeten, nicht mit Recht zu beſchweren.
Wenn Redner und Schriftſteller, in Be¬ tracht der großen Wirkung welche dadurch her¬ vorzubringen iſt, ſich gern der Contraſte be¬ dienen, und ſollten ſie auch erſt aufgeſucht und herbeygeholt werden; ſo muß es dem Verfaſſer um ſo angenehmer ſeyn, daß ein entſchiedener Gegenſatz ſich ihm anbietet, in¬ dem er nach Lenzen von Klingern zu ſpre¬
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ſo erzaͤhlte ich ihm wie andern meine Abſicht
mit Fauſt, beſonders die Cataſtrophe von Gret¬
chen. Er faßte das Suͤjet auf, und benutzte
es fuͤr ein Trauerſpiel, die Kindesmoͤrde¬
rinn. Es war das erſte Mal, daß mir Je¬
mand etwas von meinen Vorſaͤtzen wegſchnapp¬
te; es verdroß mich, ohne daß ich's ihm nach¬
getragen haͤtte. Ich habe dergleichen Gedan¬
kenraub und Vorwegnahmen nachher noch oft
genug erlebt, und hatte mich, bey meinem
Zaudern und Beſchwaͤtzen ſo manches Vorge¬
ſetzten und Eingebildeten, nicht mit Recht zu
beſchweren.
Wenn Redner und Schriftſteller, in Be¬
tracht der großen Wirkung welche dadurch her¬
vorzubringen iſt, ſich gern der Contraſte be¬
dienen, und ſollten ſie auch erſt aufgeſucht
und herbeygeholt werden; ſo muß es dem
Verfaſſer um ſo angenehmer ſeyn, daß ein
entſchiedener Gegenſatz ſich ihm anbietet, in¬
dem er nach Lenzen von Klingern zu ſpre¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/392>, abgerufen am 24.11.2024.
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