mit eigner Hand in das Herz gestoßen. Diese einzige That schien mir nachahmungs¬ würdig und ich überzeugte mich, daß wer nicht hierin handeln könne wie Otto, sich nicht erlauben dürfe, freywillig aus der Welt zu gehn. Durch diese Ueberzeugung rettete ich mich nicht sowohl von dem Vorsatz als von der Grille des Selbstmords, welche sich in jenen herrlichen Friedenszeiten bey einer müßigen Jugend eingeschlichen hatte. Unter einer ansehnlichen Waffensammlung, besaß ich auch einen kostbaren wohlgeschliffenen Dolch. Diesen legte ich mir jederzeit neben das Bet¬ te, und ehe ich das Licht auslöschte, ver¬ suchte ich, ob es mir wohl gelingen möchte, die scharfe Spitze ein paar Zoll tief in die Brust zu senken. Da dieses aber niemals gelingen wollte, so lachte ich mich zuletzt selbst aus, warf alle hypochondrische Fratzen hin¬ weg, und beschloß zu leben. Um dieß aber mit Heiterkeit thun zu können, mußte ich ei¬ ne dichterische Aufgabe zur Ausführung brin¬
III. 22
mit eigner Hand in das Herz geſtoßen. Dieſe einzige That ſchien mir nachahmungs¬ wuͤrdig und ich uͤberzeugte mich, daß wer nicht hierin handeln koͤnne wie Otto, ſich nicht erlauben duͤrfe, freywillig aus der Welt zu gehn. Durch dieſe Ueberzeugung rettete ich mich nicht ſowohl von dem Vorſatz als von der Grille des Selbſtmords, welche ſich in jenen herrlichen Friedenszeiten bey einer muͤßigen Jugend eingeſchlichen hatte. Unter einer anſehnlichen Waffenſammlung, beſaß ich auch einen koſtbaren wohlgeſchliffenen Dolch. Dieſen legte ich mir jederzeit neben das Bet¬ te, und ehe ich das Licht ausloͤſchte, ver¬ ſuchte ich, ob es mir wohl gelingen moͤchte, die ſcharfe Spitze ein paar Zoll tief in die Bruſt zu ſenken. Da dieſes aber niemals gelingen wollte, ſo lachte ich mich zuletzt ſelbſt aus, warf alle hypochondriſche Fratzen hin¬ weg, und beſchloß zu leben. Um dieß aber mit Heiterkeit thun zu koͤnnen, mußte ich ei¬ ne dichteriſche Aufgabe zur Ausfuͤhrung brin¬
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mit eigner Hand in das Herz geſtoßen.
Dieſe einzige That ſchien mir nachahmungs¬
wuͤrdig und ich uͤberzeugte mich, daß wer
nicht hierin handeln koͤnne wie Otto, ſich
nicht erlauben duͤrfe, freywillig aus der Welt
zu gehn. Durch dieſe Ueberzeugung rettete
ich mich nicht ſowohl von dem Vorſatz als
von der Grille des Selbſtmords, welche ſich
in jenen herrlichen Friedenszeiten bey einer
muͤßigen Jugend eingeſchlichen hatte. Unter
einer anſehnlichen Waffenſammlung, beſaß ich
auch einen koſtbaren wohlgeſchliffenen Dolch.
Dieſen legte ich mir jederzeit neben das Bet¬
te, und ehe ich das Licht ausloͤſchte, ver¬
ſuchte ich, ob es mir wohl gelingen moͤchte,
die ſcharfe Spitze ein paar Zoll tief in die
Bruſt zu ſenken. Da dieſes aber niemals
gelingen wollte, ſo lachte ich mich zuletzt ſelbſt
aus, warf alle hypochondriſche Fratzen hin¬
weg, und beſchloß zu leben. Um dieß aber
mit Heiterkeit thun zu koͤnnen, mußte ich ei¬
ne dichteriſche Aufgabe zur Ausfuͤhrung brin¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/345>, abgerufen am 23.11.2024.
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