Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite


langsam vom Leben zu scheiden, und der raf¬
finirteste, schnellste, schmerzenloseste Tod durch
eine Natter war einer Königinn würdig, die
ihr Leben in Glanz und Lust zugebracht hat¬
te. Alles dieses aber sind äußere Behelfe,
sind Feinde, mit denen der Mensch gegen
sich selbst einen Bund schließt.

Wenn ich nun alle diese Mittel überlegte,
und mich sonst in der Geschichte weiter um¬
sah, so fand ich unter allen denen die sich
selbst entleibt, keinen, der diese That mit
solcher Großheit und Freyheit des Geistes
verrichtet, als Kaiser Otto. Dieser, zwar
als Feldherr im Nachtheil, aber doch keines¬
wegs aufs Aeußerste gebracht, entschließt sich
zum Besten des Reichs, das ihm gewisser¬
maßen schon angehörte, und zur Schonung
so vieler Tausende, die Welt zu verlassen.
Er begeht mit seinen Freunden ein heiteres
Nachtmahl, und man findet am anderen
Morgen, daß er sich einen scharfen Dolch


langſam vom Leben zu ſcheiden, und der raf¬
finirteſte, ſchnellſte, ſchmerzenloſeſte Tod durch
eine Natter war einer Koͤniginn wuͤrdig, die
ihr Leben in Glanz und Luſt zugebracht hat¬
te. Alles dieſes aber ſind aͤußere Behelfe,
ſind Feinde, mit denen der Menſch gegen
ſich ſelbſt einen Bund ſchließt.

Wenn ich nun alle dieſe Mittel uͤberlegte,
und mich ſonſt in der Geſchichte weiter um¬
ſah, ſo fand ich unter allen denen die ſich
ſelbſt entleibt, keinen, der dieſe That mit
ſolcher Großheit und Freyheit des Geiſtes
verrichtet, als Kaiſer Otto. Dieſer, zwar
als Feldherr im Nachtheil, aber doch keines¬
wegs aufs Aeußerſte gebracht, entſchließt ſich
zum Beſten des Reichs, das ihm gewiſſer¬
maßen ſchon angehoͤrte, und zur Schonung
ſo vieler Tauſende, die Welt zu verlaſſen.
Er begeht mit ſeinen Freunden ein heiteres
Nachtmahl, und man findet am anderen
Morgen, daß er ſich einen ſcharfen Dolch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0344" n="336"/><lb/>
lang&#x017F;am vom Leben zu &#x017F;cheiden, und der raf¬<lb/>
finirte&#x017F;te, &#x017F;chnell&#x017F;te, &#x017F;chmerzenlo&#x017F;e&#x017F;te Tod durch<lb/>
eine Natter war einer Ko&#x0364;niginn wu&#x0364;rdig, die<lb/>
ihr Leben in Glanz und Lu&#x017F;t zugebracht hat¬<lb/>
te. Alles die&#x017F;es aber &#x017F;ind a&#x0364;ußere Behelfe,<lb/>
&#x017F;ind Feinde, mit denen der Men&#x017F;ch gegen<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t einen Bund &#x017F;chließt.</p><lb/>
        <p>Wenn ich nun alle die&#x017F;e Mittel u&#x0364;berlegte,<lb/>
und mich &#x017F;on&#x017F;t in der Ge&#x017F;chichte weiter um¬<lb/>
&#x017F;ah, &#x017F;o fand ich unter allen denen die &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t entleibt, keinen, der die&#x017F;e That mit<lb/>
&#x017F;olcher Großheit und Freyheit des Gei&#x017F;tes<lb/>
verrichtet, als Kai&#x017F;er <hi rendition="#g">Otto</hi>. Die&#x017F;er, zwar<lb/>
als Feldherr im Nachtheil, aber doch keines¬<lb/>
wegs aufs Aeußer&#x017F;te gebracht, ent&#x017F;chließt &#x017F;ich<lb/>
zum Be&#x017F;ten des Reichs, das ihm gewi&#x017F;&#x017F;er¬<lb/>
maßen &#x017F;chon angeho&#x0364;rte, und zur Schonung<lb/>
&#x017F;o vieler Tau&#x017F;ende, die Welt zu verla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Er begeht mit &#x017F;einen Freunden ein heiteres<lb/>
Nachtmahl, und man findet am anderen<lb/>
Morgen, daß er &#x017F;ich einen &#x017F;charfen Dolch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0344] langſam vom Leben zu ſcheiden, und der raf¬ finirteſte, ſchnellſte, ſchmerzenloſeſte Tod durch eine Natter war einer Koͤniginn wuͤrdig, die ihr Leben in Glanz und Luſt zugebracht hat¬ te. Alles dieſes aber ſind aͤußere Behelfe, ſind Feinde, mit denen der Menſch gegen ſich ſelbſt einen Bund ſchließt. Wenn ich nun alle dieſe Mittel uͤberlegte, und mich ſonſt in der Geſchichte weiter um¬ ſah, ſo fand ich unter allen denen die ſich ſelbſt entleibt, keinen, der dieſe That mit ſolcher Großheit und Freyheit des Geiſtes verrichtet, als Kaiſer Otto. Dieſer, zwar als Feldherr im Nachtheil, aber doch keines¬ wegs aufs Aeußerſte gebracht, entſchließt ſich zum Beſten des Reichs, das ihm gewiſſer¬ maßen ſchon angehoͤrte, und zur Schonung ſo vieler Tauſende, die Welt zu verlaſſen. Er begeht mit ſeinen Freunden ein heiteres Nachtmahl, und man findet am anderen Morgen, daß er ſich einen ſcharfen Dolch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/344
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/344>, abgerufen am 19.05.2024.