keineswegs geschickt fühlte, ob ich es mir gleich gefallen ließ, daß man meinen Namen auf den Titel des frischen Abdrucks zu setzen beliebte. Man hatte, weil ich die Blumen eines großen Daseyns abzupflücken verstand, mich für einen sorgfältigen Kunstgärtner ge¬ halten. Diese meine Gelahrtheit und gründ¬ liche Sachkenntniß wurde jedoch wieder von andern in Zweifel gezogen. Ein angesehener Geschäftsmann macht mir ganz unvermuthet die Visite. Ich sehe mich dadurch höchst ge¬ ehrt, und um so mehr, als er sein Gespräch mit dem Lobe meines Goetz von Berlichingen und meiner guten Einsichten in die deutsche Geschichte anfängt; allein ich finde mich doch betroffen als ich bemerke, er sey eigentlich nur gekommen um mich zu belehren, daß Goetz von Berlichingen kein Schwager von Franz von Sickingen gewesen sey, und daß ich also durch dieses poetische Ehebündniß gar sehr gegen die Geschichte verstoßen habe. Ich suchte mich dadurch zu entschuldigen, daß
keineswegs geſchickt fuͤhlte, ob ich es mir gleich gefallen ließ, daß man meinen Namen auf den Titel des friſchen Abdrucks zu ſetzen beliebte. Man hatte, weil ich die Blumen eines großen Daſeyns abzupfluͤcken verſtand, mich fuͤr einen ſorgfaͤltigen Kunſtgaͤrtner ge¬ halten. Dieſe meine Gelahrtheit und gruͤnd¬ liche Sachkenntniß wurde jedoch wieder von andern in Zweifel gezogen. Ein angeſehener Geſchaͤftsmann macht mir ganz unvermuthet die Viſite. Ich ſehe mich dadurch hoͤchſt ge¬ ehrt, und um ſo mehr, als er ſein Geſpraͤch mit dem Lobe meines Goetz von Berlichingen und meiner guten Einſichten in die deutſche Geſchichte anfaͤngt; allein ich finde mich doch betroffen als ich bemerke, er ſey eigentlich nur gekommen um mich zu belehren, daß Goetz von Berlichingen kein Schwager von Franz von Sickingen geweſen ſey, und daß ich alſo durch dieſes poetiſche Ehebuͤndniß gar ſehr gegen die Geſchichte verſtoßen habe. Ich ſuchte mich dadurch zu entſchuldigen, daß
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0322"n="314"/>
keineswegs geſchickt fuͤhlte, ob ich es mir<lb/>
gleich gefallen ließ, daß man meinen Namen<lb/>
auf den Titel des friſchen Abdrucks zu ſetzen<lb/>
beliebte. Man hatte, weil ich die Blumen<lb/>
eines großen Daſeyns abzupfluͤcken verſtand,<lb/>
mich fuͤr einen ſorgfaͤltigen Kunſtgaͤrtner ge¬<lb/>
halten. Dieſe meine Gelahrtheit und gruͤnd¬<lb/>
liche Sachkenntniß wurde jedoch wieder von<lb/>
andern in Zweifel gezogen. Ein angeſehener<lb/>
Geſchaͤftsmann macht mir ganz unvermuthet<lb/>
die Viſite. Ich ſehe mich dadurch hoͤchſt ge¬<lb/>
ehrt, und um ſo mehr, als er ſein Geſpraͤch<lb/>
mit dem Lobe meines Goetz von Berlichingen<lb/>
und meiner guten Einſichten in die deutſche<lb/>
Geſchichte anfaͤngt; allein ich finde mich doch<lb/>
betroffen als ich bemerke, er ſey eigentlich<lb/>
nur gekommen um mich zu belehren, daß<lb/>
Goetz von Berlichingen kein Schwager von<lb/>
Franz von Sickingen geweſen ſey, und daß<lb/>
ich alſo durch dieſes poetiſche Ehebuͤndniß gar<lb/>ſehr gegen die Geſchichte verſtoßen habe. Ich<lb/>ſuchte mich dadurch zu entſchuldigen, daß<lb/></p></div></body></text></TEI>
[314/0322]
keineswegs geſchickt fuͤhlte, ob ich es mir
gleich gefallen ließ, daß man meinen Namen
auf den Titel des friſchen Abdrucks zu ſetzen
beliebte. Man hatte, weil ich die Blumen
eines großen Daſeyns abzupfluͤcken verſtand,
mich fuͤr einen ſorgfaͤltigen Kunſtgaͤrtner ge¬
halten. Dieſe meine Gelahrtheit und gruͤnd¬
liche Sachkenntniß wurde jedoch wieder von
andern in Zweifel gezogen. Ein angeſehener
Geſchaͤftsmann macht mir ganz unvermuthet
die Viſite. Ich ſehe mich dadurch hoͤchſt ge¬
ehrt, und um ſo mehr, als er ſein Geſpraͤch
mit dem Lobe meines Goetz von Berlichingen
und meiner guten Einſichten in die deutſche
Geſchichte anfaͤngt; allein ich finde mich doch
betroffen als ich bemerke, er ſey eigentlich
nur gekommen um mich zu belehren, daß
Goetz von Berlichingen kein Schwager von
Franz von Sickingen geweſen ſey, und daß
ich alſo durch dieſes poetiſche Ehebuͤndniß gar
ſehr gegen die Geſchichte verſtoßen habe. Ich
ſuchte mich dadurch zu entſchuldigen, daß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/322>, abgerufen am 17.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.