indem sie zweifelte, daß ich so fortfahren wür¬ de, ja sie äußerte sogar einen entschiedenen Unglauben an meine Beharrlichkeit. Dieses reizte mich nur um so mehr, ich fuhr den nächsten Tag fort, und so den dritten; die Hoffnung wuchs bey den täglichen Mitthei¬ lungen, auch mir ward alles von Schritt zu Schritt lebendiger, indem mir ohnehin der Stoff durchaus eigen geworden; und so hielt ich mich ununterbrochen ans Werk, das ich geradeswegs verfolgte, ohne weder rückwärts, noch rechts, noch links zu sehn, und in et¬ wa sechs Wochen hatte ich das Vergnügen, das Manuscript geheftet zu erblicken. Ich theilte es Merken mit, der verständig und wohlwollend darüber sprach; ich sendete es Herdern zu, der sich unfreundlich und hart dagegen äußerte, und nicht ermangelte, in ei¬ nigen gelegentlichen Schmähgedichten mich des¬ halb mit spöttischen Namen zu bezeichnen. Ich ließ mich dadurch nicht irre machen, son¬ dern faßte meinen Gegenstand scharf ins Au¬
indem ſie zweifelte, daß ich ſo fortfahren wuͤr¬ de, ja ſie aͤußerte ſogar einen entſchiedenen Unglauben an meine Beharrlichkeit. Dieſes reizte mich nur um ſo mehr, ich fuhr den naͤchſten Tag fort, und ſo den dritten; die Hoffnung wuchs bey den taͤglichen Mitthei¬ lungen, auch mir ward alles von Schritt zu Schritt lebendiger, indem mir ohnehin der Stoff durchaus eigen geworden; und ſo hielt ich mich ununterbrochen ans Werk, das ich geradeswegs verfolgte, ohne weder ruͤckwaͤrts, noch rechts, noch links zu ſehn, und in et¬ wa ſechs Wochen hatte ich das Vergnuͤgen, das Manuſcript geheftet zu erblicken. Ich theilte es Merken mit, der verſtaͤndig und wohlwollend daruͤber ſprach; ich ſendete es Herdern zu, der ſich unfreundlich und hart dagegen aͤußerte, und nicht ermangelte, in ei¬ nigen gelegentlichen Schmaͤhgedichten mich des¬ halb mit ſpoͤttiſchen Namen zu bezeichnen. Ich ließ mich dadurch nicht irre machen, ſon¬ dern faßte meinen Gegenſtand ſcharf ins Au¬
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indem ſie zweifelte, daß ich ſo fortfahren wuͤr¬
de, ja ſie aͤußerte ſogar einen entſchiedenen
Unglauben an meine Beharrlichkeit. Dieſes
reizte mich nur um ſo mehr, ich fuhr den
naͤchſten Tag fort, und ſo den dritten; die
Hoffnung wuchs bey den taͤglichen Mitthei¬
lungen, auch mir ward alles von Schritt zu
Schritt lebendiger, indem mir ohnehin der
Stoff durchaus eigen geworden; und ſo hielt
ich mich ununterbrochen ans Werk, das ich
geradeswegs verfolgte, ohne weder ruͤckwaͤrts,
noch rechts, noch links zu ſehn, und in et¬
wa ſechs Wochen hatte ich das Vergnuͤgen,
das Manuſcript geheftet zu erblicken. Ich
theilte es Merken mit, der verſtaͤndig und
wohlwollend daruͤber ſprach; ich ſendete es
Herdern zu, der ſich unfreundlich und hart
dagegen aͤußerte, und nicht ermangelte, in ei¬
nigen gelegentlichen Schmaͤhgedichten mich des¬
halb mit ſpoͤttiſchen Namen zu bezeichnen.
Ich ließ mich dadurch nicht irre machen, ſon¬
dern faßte meinen Gegenſtand ſcharf ins Au¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/311>, abgerufen am 23.11.2024.
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