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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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sehr schnell die Junonische Gestalt einer ihrer
Freundinnen vor, und da es ihm an Zeit ge¬
brach, ein näheres Verhältniß anzuknüpfen;
so schalt er mich recht bitter aus, daß ich
mich nicht um diese prächtige Gestalt bemüht,
um so mehr, da sie frey, ohne irgend ein
Verhältniß sich befinde. Ich verstehe eben
meinen Vortheil nicht, meynte er, und er sehe
höchst ungern auch hier meine besondere Lieb¬
haberey, die Zeit zu verderben.

Wenn es gefährlich ist, einen Freund mit
den Vorzügen seiner Geliebten bekannt zu ma¬
chen, weil er sie wohl auch reizend und be¬
gehrenswürdig finden möchte; so ist die um¬
gekehrte Gefahr nicht geringer, daß er uns
durch seine Abstimmung irre machen kann.
Dieses war zwar hier der Fall nicht: denn
ich hatte mir das Bild ihrer Liebenswürdig¬
keit tief genug eingedruckt, als daß es so leicht
auszulöschen gewesen wäre; aber seine Gegen¬
wart, sein Zureden beschleunigte doch den Ent¬

ſehr ſchnell die Junoniſche Geſtalt einer ihrer
Freundinnen vor, und da es ihm an Zeit ge¬
brach, ein naͤheres Verhaͤltniß anzuknuͤpfen;
ſo ſchalt er mich recht bitter aus, daß ich
mich nicht um dieſe praͤchtige Geſtalt bemuͤht,
um ſo mehr, da ſie frey, ohne irgend ein
Verhaͤltniß ſich befinde. Ich verſtehe eben
meinen Vortheil nicht, meynte er, und er ſehe
hoͤchſt ungern auch hier meine beſondere Lieb¬
haberey, die Zeit zu verderben.

Wenn es gefaͤhrlich iſt, einen Freund mit
den Vorzuͤgen ſeiner Geliebten bekannt zu ma¬
chen, weil er ſie wohl auch reizend und be¬
gehrenswuͤrdig finden moͤchte; ſo iſt die um¬
gekehrte Gefahr nicht geringer, daß er uns
durch ſeine Abſtimmung irre machen kann.
Dieſes war zwar hier der Fall nicht: denn
ich hatte mir das Bild ihrer Liebenswuͤrdig¬
keit tief genug eingedruckt, als daß es ſo leicht
auszuloͤſchen geweſen waͤre; aber ſeine Gegen¬
wart, ſein Zureden beſchleunigte doch den Ent¬

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[262/0270] ſehr ſchnell die Junoniſche Geſtalt einer ihrer Freundinnen vor, und da es ihm an Zeit ge¬ brach, ein naͤheres Verhaͤltniß anzuknuͤpfen; ſo ſchalt er mich recht bitter aus, daß ich mich nicht um dieſe praͤchtige Geſtalt bemuͤht, um ſo mehr, da ſie frey, ohne irgend ein Verhaͤltniß ſich befinde. Ich verſtehe eben meinen Vortheil nicht, meynte er, und er ſehe hoͤchſt ungern auch hier meine beſondere Lieb¬ haberey, die Zeit zu verderben. Wenn es gefaͤhrlich iſt, einen Freund mit den Vorzuͤgen ſeiner Geliebten bekannt zu ma¬ chen, weil er ſie wohl auch reizend und be¬ gehrenswuͤrdig finden moͤchte; ſo iſt die um¬ gekehrte Gefahr nicht geringer, daß er uns durch ſeine Abſtimmung irre machen kann. Dieſes war zwar hier der Fall nicht: denn ich hatte mir das Bild ihrer Liebenswuͤrdig¬ keit tief genug eingedruckt, als daß es ſo leicht auszuloͤſchen geweſen waͤre; aber ſeine Gegen¬ wart, ſein Zureden beſchleunigte doch den Ent¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/270>, abgerufen am 24.11.2024.