beitete durch, und war in der Stille mit mir selbst heiter und froh; ich legte mir zurecht, was die ewig widersprechende Welt mir un¬ geschickt und verworren aufgedrungen hatte. Am Ziele meines Weges angelangt, suchte ich Höpfners Wohnung und pochte an seine Stu¬ dirstube. Als er mir herein! gerufen hatte, trat ich bescheidentlich vor ihn, als ein Stu¬ dirender, der von Academieen sich nach Hau¬ se verfügen und unterwegs die würdigsten Männer wollte kennen leinen. Auf seine Fra¬ gen nach meinen näheren Verhältnissen war ich vorbereitet; ich erzählte ein glaubliches pro¬ saisches Mährchen, womit er zufrieden schien, und als ich mich hierauf für einen Juristen angab, bestand ich nicht übel: denn ich kann¬ te sein Verdienst in diesem Fach und wußte, daß er sich eben mit dem Naturrecht beschäf¬ tigte. Doch stockte das Gespräch einige Mal, und es schien, als wenn er einem Stamm¬ buch oder meiner Beurlaubung entgegensähe. Ich wußte jedoch immer zu zaudern, indem
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beitete durch, und war in der Stille mit mir ſelbſt heiter und froh; ich legte mir zurecht, was die ewig widerſprechende Welt mir un¬ geſchickt und verworren aufgedrungen hatte. Am Ziele meines Weges angelangt, ſuchte ich Hoͤpfners Wohnung und pochte an ſeine Stu¬ dirſtube. Als er mir herein! gerufen hatte, trat ich beſcheidentlich vor ihn, als ein Stu¬ dirender, der von Academieen ſich nach Hau¬ ſe verfuͤgen und unterwegs die wuͤrdigſten Maͤnner wollte kennen leinen. Auf ſeine Fra¬ gen nach meinen naͤheren Verhaͤltniſſen war ich vorbereitet; ich erzaͤhlte ein glaubliches pro¬ ſaiſches Maͤhrchen, womit er zufrieden ſchien, und als ich mich hierauf fuͤr einen Juriſten angab, beſtand ich nicht uͤbel: denn ich kann¬ te ſein Verdienſt in dieſem Fach und wußte, daß er ſich eben mit dem Naturrecht beſchaͤf¬ tigte. Doch ſtockte das Geſpraͤch einige Mal, und es ſchien, als wenn er einem Stamm¬ buch oder meiner Beurlaubung entgegenſaͤhe. Ich wußte jedoch immer zu zaudern, indem
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beitete durch, und war in der Stille mit mir
ſelbſt heiter und froh; ich legte mir zurecht,
was die ewig widerſprechende Welt mir un¬
geſchickt und verworren aufgedrungen hatte.
Am Ziele meines Weges angelangt, ſuchte ich
Hoͤpfners Wohnung und pochte an ſeine Stu¬
dirſtube. Als er mir herein! gerufen hatte,
trat ich beſcheidentlich vor ihn, als ein Stu¬
dirender, der von Academieen ſich nach Hau¬
ſe verfuͤgen und unterwegs die wuͤrdigſten
Maͤnner wollte kennen leinen. Auf ſeine Fra¬
gen nach meinen naͤheren Verhaͤltniſſen war
ich vorbereitet; ich erzaͤhlte ein glaubliches pro¬
ſaiſches Maͤhrchen, womit er zufrieden ſchien,
und als ich mich hierauf fuͤr einen Juriſten
angab, beſtand ich nicht uͤbel: denn ich kann¬
te ſein Verdienſt in dieſem Fach und wußte,
daß er ſich eben mit dem Naturrecht beſchaͤf¬
tigte. Doch ſtockte das Geſpraͤch einige Mal,
und es ſchien, als wenn er einem Stamm¬
buch oder meiner Beurlaubung entgegenſaͤhe.
Ich wußte jedoch immer zu zaudern, indem
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/251>, abgerufen am 23.11.2024.
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