stand. Götter ließ ich überhaupt nicht viel auftreten, weil sie mir noch außerhalb der Natur, die ich nachzubilden verstand, ihren Wohnsitz hatten. Was hätte mich nun gar bewegen sollen, Wodan für Jupiter, und Thor für Mars zu setzen, und statt der südlichen genau umschriebenen Figuren, Nebelbilder, ja bloße Wortklänge in meine Dichtungen einzuführen? Von einer Seite schlossen sie sich vielmehr an die Ossianschen gleichfalls formlosen Helden, nur derber und riesenhafter an, von der andern lenkte ich sie nach dem heiteren Mährchen hin: denn der humoristische Zug, der durch die ganze nor¬ dische Mythe durchgeht, war mir höchst lieb und bemerkenswerth. Sie schien mir die ein¬ zige, welche durchaus mit sich selbst scherzt, einer wunderlichen Dynastie von Göttern aben¬ teuerliche Riesen, Zauberer und Ungeheuer entgegensetzt, die nur beschäftigt sind, die höchsten Personen während ihres Regiments zu irren, zum Besten zu haben, und hinter¬
ſtand. Goͤtter ließ ich uͤberhaupt nicht viel auftreten, weil ſie mir noch außerhalb der Natur, die ich nachzubilden verſtand, ihren Wohnſitz hatten. Was haͤtte mich nun gar bewegen ſollen, Wodan fuͤr Jupiter, und Thor fuͤr Mars zu ſetzen, und ſtatt der ſuͤdlichen genau umſchriebenen Figuren, Nebelbilder, ja bloße Wortklaͤnge in meine Dichtungen einzufuͤhren? Von einer Seite ſchloſſen ſie ſich vielmehr an die Oſſianſchen gleichfalls formloſen Helden, nur derber und rieſenhafter an, von der andern lenkte ich ſie nach dem heiteren Maͤhrchen hin: denn der humoriſtiſche Zug, der durch die ganze nor¬ diſche Mythe durchgeht, war mir hoͤchſt lieb und bemerkenswerth. Sie ſchien mir die ein¬ zige, welche durchaus mit ſich ſelbſt ſcherzt, einer wunderlichen Dynaſtie von Goͤttern aben¬ teuerliche Rieſen, Zauberer und Ungeheuer entgegenſetzt, die nur beſchaͤftigt ſind, die hoͤchſten Perſonen waͤhrend ihres Regiments zu irren, zum Beſten zu haben, und hinter¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0227"n="219"/>ſtand. Goͤtter ließ ich uͤberhaupt nicht viel<lb/>
auftreten, weil ſie mir noch außerhalb der<lb/>
Natur, die ich nachzubilden verſtand, ihren<lb/>
Wohnſitz hatten. Was haͤtte mich nun gar<lb/>
bewegen ſollen, <hirendition="#g">Wodan</hi> fuͤr <hirendition="#g">Jupiter</hi>,<lb/>
und <hirendition="#g">Thor</hi> fuͤr <hirendition="#g">Mars</hi> zu ſetzen, und ſtatt<lb/>
der ſuͤdlichen genau umſchriebenen Figuren,<lb/>
Nebelbilder, ja bloße Wortklaͤnge in meine<lb/>
Dichtungen einzufuͤhren? Von einer Seite<lb/>ſchloſſen ſie ſich vielmehr an die Oſſianſchen<lb/>
gleichfalls formloſen Helden, nur derber und<lb/>
rieſenhafter an, von der andern lenkte ich ſie<lb/>
nach dem heiteren Maͤhrchen hin: denn der<lb/>
humoriſtiſche Zug, der durch die ganze nor¬<lb/>
diſche Mythe durchgeht, war mir hoͤchſt lieb<lb/>
und bemerkenswerth. Sie ſchien mir die ein¬<lb/>
zige, welche durchaus mit ſich ſelbſt ſcherzt,<lb/>
einer wunderlichen Dynaſtie von Goͤttern aben¬<lb/>
teuerliche Rieſen, Zauberer und Ungeheuer<lb/>
entgegenſetzt, die nur beſchaͤftigt ſind, die<lb/>
hoͤchſten Perſonen waͤhrend ihres Regiments<lb/>
zu irren, zum Beſten zu haben, und hinter¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[219/0227]
ſtand. Goͤtter ließ ich uͤberhaupt nicht viel
auftreten, weil ſie mir noch außerhalb der
Natur, die ich nachzubilden verſtand, ihren
Wohnſitz hatten. Was haͤtte mich nun gar
bewegen ſollen, Wodan fuͤr Jupiter,
und Thor fuͤr Mars zu ſetzen, und ſtatt
der ſuͤdlichen genau umſchriebenen Figuren,
Nebelbilder, ja bloße Wortklaͤnge in meine
Dichtungen einzufuͤhren? Von einer Seite
ſchloſſen ſie ſich vielmehr an die Oſſianſchen
gleichfalls formloſen Helden, nur derber und
rieſenhafter an, von der andern lenkte ich ſie
nach dem heiteren Maͤhrchen hin: denn der
humoriſtiſche Zug, der durch die ganze nor¬
diſche Mythe durchgeht, war mir hoͤchſt lieb
und bemerkenswerth. Sie ſchien mir die ein¬
zige, welche durchaus mit ſich ſelbſt ſcherzt,
einer wunderlichen Dynaſtie von Goͤttern aben¬
teuerliche Rieſen, Zauberer und Ungeheuer
entgegenſetzt, die nur beſchaͤftigt ſind, die
hoͤchſten Perſonen waͤhrend ihres Regiments
zu irren, zum Beſten zu haben, und hinter¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/227>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.