letzt fand sich Niemand der das Urtheil ein¬ lösen wollte. Die Parteyen hatten sich ver¬ glichen, auseinander gesetzt, waren gestorben, hatten den Sinn geändert. Daher beschloß man nur diejenigen Gegenstände vorzunehmen, welche erinnert wurden. Man wollte von der fortdauernden Beharrlichkeit der Parteyen über¬ zeugt seyn, und hiedurch ward den größten Gebrechen die Einleitung gegeben: denn wer seine Sache empfiehlt, muß sie doch Jemand empfehlen, und wem empföhle man sie besser, als dem der sie unter Händen hat. Diesen, ordnungsgemäß, geheim zu halten ward un¬ möglich: denn bey so viel mitwissenden Sub¬ alternen, wie sollte derselbe verborgen bleiben? Bittet man um Beschleunigung, so darf man ja wohl auch um Gunst bitten: denn eben daß man seine Sache betreibt, zeigt ja an, daß man sie für gerecht hält. Geradezu wird man es vielleicht nicht thun, gewiß aber am ersten durch Untergeordnete; diese müssen ge¬
letzt fand ſich Niemand der das Urtheil ein¬ loͤſen wollte. Die Parteyen hatten ſich ver¬ glichen, auseinander geſetzt, waren geſtorben, hatten den Sinn geaͤndert. Daher beſchloß man nur diejenigen Gegenſtaͤnde vorzunehmen, welche erinnert wurden. Man wollte von der fortdauernden Beharrlichkeit der Parteyen uͤber¬ zeugt ſeyn, und hiedurch ward den groͤßten Gebrechen die Einleitung gegeben: denn wer ſeine Sache empfiehlt, muß ſie doch Jemand empfehlen, und wem empfoͤhle man ſie beſſer, als dem der ſie unter Haͤnden hat. Dieſen, ordnungsgemaͤß, geheim zu halten ward un¬ moͤglich: denn bey ſo viel mitwiſſenden Sub¬ alternen, wie ſollte derſelbe verborgen bleiben? Bittet man um Beſchleunigung, ſo darf man ja wohl auch um Gunſt bitten: denn eben daß man ſeine Sache betreibt, zeigt ja an, daß man ſie fuͤr gerecht haͤlt. Geradezu wird man es vielleicht nicht thun, gewiß aber am erſten durch Untergeordnete; dieſe muͤſſen ge¬
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[201/0209]
letzt fand ſich Niemand der das Urtheil ein¬
loͤſen wollte. Die Parteyen hatten ſich ver¬
glichen, auseinander geſetzt, waren geſtorben,
hatten den Sinn geaͤndert. Daher beſchloß
man nur diejenigen Gegenſtaͤnde vorzunehmen,
welche erinnert wurden. Man wollte von der
fortdauernden Beharrlichkeit der Parteyen uͤber¬
zeugt ſeyn, und hiedurch ward den groͤßten
Gebrechen die Einleitung gegeben: denn wer
ſeine Sache empfiehlt, muß ſie doch Jemand
empfehlen, und wem empfoͤhle man ſie beſſer,
als dem der ſie unter Haͤnden hat. Dieſen,
ordnungsgemaͤß, geheim zu halten ward un¬
moͤglich: denn bey ſo viel mitwiſſenden Sub¬
alternen, wie ſollte derſelbe verborgen bleiben?
Bittet man um Beſchleunigung, ſo darf man
ja wohl auch um Gunſt bitten: denn eben
daß man ſeine Sache betreibt, zeigt ja an,
daß man ſie fuͤr gerecht haͤlt. Geradezu wird
man es vielleicht nicht thun, gewiß aber am
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/209>, abgerufen am 23.11.2024.
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