zum Vorwande, die Unruhstifter zu bestrafen, als daß es gründlich dem Unrecht vorgebeugt hätte. Allein es ist kaum, beysammen, so er¬ wächst ihm eine Kraft aus sich selbst, es fühlt die Höhe auf die es gestellt ist, es erkennt seine große politische Wichtigkeit. Nun sucht es sich durch auffallende Thätigkeit ein ent¬ schiedneres Ansehn zu erwerben; frisch arbei¬ ten sie weg alles was kurz abgethan werden kann und muß, was über den Augenblick ent¬ scheidet, oder was sonst leicht beurtheilt wer¬ den kann, und so erscheinen sie im ganzen Reiche wirksam und würdig. Die Sachen von schwererem Gehalt hingegen, die eigentlichen Rechtshändel, blieben im Rückstand, und es war kein Unglück. Dem Staate liegt nur daran, daß der Besitz gewiß und sicher sey; ob man mit Recht besitze, kann ihn weniger kümmern. Deswegen erwuchs aus der nach und nach aufschwellenden ungeheuren Anzahl von verspäteten Processen dem Reiche kein Schade. Gegen Leute die Gewalt brauchten
III. 13
zum Vorwande, die Unruhſtifter zu beſtrafen, als daß es gruͤndlich dem Unrecht vorgebeugt haͤtte. Allein es iſt kaum, beyſammen, ſo er¬ waͤchſt ihm eine Kraft aus ſich ſelbſt, es fuͤhlt die Hoͤhe auf die es geſtellt iſt, es erkennt ſeine große politiſche Wichtigkeit. Nun ſucht es ſich durch auffallende Thaͤtigkeit ein ent¬ ſchiedneres Anſehn zu erwerben; friſch arbei¬ ten ſie weg alles was kurz abgethan werden kann und muß, was uͤber den Augenblick ent¬ ſcheidet, oder was ſonſt leicht beurtheilt wer¬ den kann, und ſo erſcheinen ſie im ganzen Reiche wirkſam und wuͤrdig. Die Sachen von ſchwererem Gehalt hingegen, die eigentlichen Rechtshaͤndel, blieben im Ruͤckſtand, und es war kein Ungluͤck. Dem Staate liegt nur daran, daß der Beſitz gewiß und ſicher ſey; ob man mit Recht beſitze, kann ihn weniger kuͤmmern. Deswegen erwuchs aus der nach und nach aufſchwellenden ungeheuren Anzahl von verſpaͤteten Proceſſen dem Reiche kein Schade. Gegen Leute die Gewalt brauchten
III. 13
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zum Vorwande, die Unruhſtifter zu beſtrafen,
als daß es gruͤndlich dem Unrecht vorgebeugt
haͤtte. Allein es iſt kaum, beyſammen, ſo er¬
waͤchſt ihm eine Kraft aus ſich ſelbſt, es fuͤhlt
die Hoͤhe auf die es geſtellt iſt, es erkennt
ſeine große politiſche Wichtigkeit. Nun ſucht
es ſich durch auffallende Thaͤtigkeit ein ent¬
ſchiedneres Anſehn zu erwerben; friſch arbei¬
ten ſie weg alles was kurz abgethan werden
kann und muß, was uͤber den Augenblick ent¬
ſcheidet, oder was ſonſt leicht beurtheilt wer¬
den kann, und ſo erſcheinen ſie im ganzen
Reiche wirkſam und wuͤrdig. Die Sachen von
ſchwererem Gehalt hingegen, die eigentlichen
Rechtshaͤndel, blieben im Ruͤckſtand, und es
war kein Ungluͤck. Dem Staate liegt nur
daran, daß der Beſitz gewiß und ſicher ſey;
ob man mit Recht beſitze, kann ihn weniger
kuͤmmern. Deswegen erwuchs aus der nach
und nach aufſchwellenden ungeheuren Anzahl
von verſpaͤteten Proceſſen dem Reiche kein
Schade. Gegen Leute die Gewalt brauchten
III. 13
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/201>, abgerufen am 23.11.2024.
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