Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

indem er spricht, muß für den Augenblick ein¬
seitig werden; es giebt keine Mittheilung,
keine Lehre, ohne Sonderung. Da nun aber
Haman ein für allemal dieser Trennung wi¬
derstrebte, und wie er in einer Einheit em¬
pfand, imaginirte, dachte, so auch sprechen
wollte, und das Gleiche von andern verlang¬
te; so trat er mit seinem eignen Stil und
mit allem was die andern hervorbringen konn¬
ten, in Widerstreit. Um das Unmögliche zu
leisten, greift er daher nach allen Elementen;
die tiefsten geheimsten Anschauungen, wo sich
Natur und Geist im Verborgenen begegnen,
erleuchtende Verstandesblitze, die aus einem
solchen Zusammentreffen hervorstrahlen, bedeu¬
tende Bilder, die in diesen Regionen schwe¬
ben, andringende Sprüche der heiligen und
Profanscribenten, und was sich sonst noch
humoristisch hinzufügen mag, alles dieses bil¬
det die wunderbare Gesammtheit seines Stils,
seiner Mittheilungen. Kann man sich nun in
der Tiefe nicht zu ihm gesellen, auf den Hö¬

indem er ſpricht, muß fuͤr den Augenblick ein¬
ſeitig werden; es giebt keine Mittheilung,
keine Lehre, ohne Sonderung. Da nun aber
Haman ein fuͤr allemal dieſer Trennung wi¬
derſtrebte, und wie er in einer Einheit em¬
pfand, imaginirte, dachte, ſo auch ſprechen
wollte, und das Gleiche von andern verlang¬
te; ſo trat er mit ſeinem eignen Stil und
mit allem was die andern hervorbringen konn¬
ten, in Widerſtreit. Um das Unmoͤgliche zu
leiſten, greift er daher nach allen Elementen;
die tiefſten geheimſten Anſchauungen, wo ſich
Natur und Geiſt im Verborgenen begegnen,
erleuchtende Verſtandesblitze, die aus einem
ſolchen Zuſammentreffen hervorſtrahlen, bedeu¬
tende Bilder, die in dieſen Regionen ſchwe¬
ben, andringende Spruͤche der heiligen und
Profanſcribenten, und was ſich ſonſt noch
humoriſtiſch hinzufuͤgen mag, alles dieſes bil¬
det die wunderbare Geſammtheit ſeines Stils,
ſeiner Mittheilungen. Kann man ſich nun in
der Tiefe nicht zu ihm geſellen, auf den Hoͤ¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0173" n="165"/>
indem er &#x017F;pricht, muß fu&#x0364;r den Augenblick ein¬<lb/>
&#x017F;eitig werden; es giebt keine Mittheilung,<lb/>
keine Lehre, ohne Sonderung. Da nun aber<lb/>
Haman ein fu&#x0364;r allemal die&#x017F;er Trennung wi¬<lb/>
der&#x017F;trebte, und wie er in einer Einheit em¬<lb/>
pfand, imaginirte, dachte, &#x017F;o auch &#x017F;prechen<lb/>
wollte, und das Gleiche von andern verlang¬<lb/>
te; &#x017F;o trat er mit &#x017F;einem eignen Stil und<lb/>
mit allem was die andern hervorbringen konn¬<lb/>
ten, in Wider&#x017F;treit. Um das Unmo&#x0364;gliche zu<lb/>
lei&#x017F;ten, greift er daher nach allen Elementen;<lb/>
die tief&#x017F;ten geheim&#x017F;ten An&#x017F;chauungen, wo &#x017F;ich<lb/>
Natur und Gei&#x017F;t im Verborgenen begegnen,<lb/>
erleuchtende Ver&#x017F;tandesblitze, die aus einem<lb/>
&#x017F;olchen Zu&#x017F;ammentreffen hervor&#x017F;trahlen, bedeu¬<lb/>
tende Bilder, die in die&#x017F;en Regionen &#x017F;chwe¬<lb/>
ben, andringende Spru&#x0364;che der heiligen und<lb/>
Profan&#x017F;cribenten, und was &#x017F;ich &#x017F;on&#x017F;t noch<lb/>
humori&#x017F;ti&#x017F;ch hinzufu&#x0364;gen mag, alles die&#x017F;es bil¬<lb/>
det die wunderbare Ge&#x017F;ammtheit &#x017F;eines Stils,<lb/>
&#x017F;einer Mittheilungen. Kann man &#x017F;ich nun in<lb/>
der Tiefe nicht zu ihm ge&#x017F;ellen, auf den Ho&#x0364;¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0173] indem er ſpricht, muß fuͤr den Augenblick ein¬ ſeitig werden; es giebt keine Mittheilung, keine Lehre, ohne Sonderung. Da nun aber Haman ein fuͤr allemal dieſer Trennung wi¬ derſtrebte, und wie er in einer Einheit em¬ pfand, imaginirte, dachte, ſo auch ſprechen wollte, und das Gleiche von andern verlang¬ te; ſo trat er mit ſeinem eignen Stil und mit allem was die andern hervorbringen konn¬ ten, in Widerſtreit. Um das Unmoͤgliche zu leiſten, greift er daher nach allen Elementen; die tiefſten geheimſten Anſchauungen, wo ſich Natur und Geiſt im Verborgenen begegnen, erleuchtende Verſtandesblitze, die aus einem ſolchen Zuſammentreffen hervorſtrahlen, bedeu¬ tende Bilder, die in dieſen Regionen ſchwe¬ ben, andringende Spruͤche der heiligen und Profanſcribenten, und was ſich ſonſt noch humoriſtiſch hinzufuͤgen mag, alles dieſes bil¬ det die wunderbare Geſammtheit ſeines Stils, ſeiner Mittheilungen. Kann man ſich nun in der Tiefe nicht zu ihm geſellen, auf den Hoͤ¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/173
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/173>, abgerufen am 25.11.2024.