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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Als ich diese Behauptung mit gewöhnli¬
cher Lebhaftigkeit aussprach, redete mich ein
kleiner muntrer Mann an und fragte: wer
hat Ihnen das gesagt? -- Der Thurm selbst,
versetzte ich. Ich habe ihn so lange und auf¬
merksam betrachtet, und ihm so viel Neigung
erwiesen, daß er sich zuletzt entschloß, mir
dieses offenbare Geheimniß zu gestehn. -- Er
hat Sie nicht mit Unwahrheit berichtet, ver¬
setzte jener; ich kann es am besten wissen,
denn ich bin der Schaffner, der über die Bau¬
lichkeiten gesetzt ist. Wir haben in unserem
Archiv noch die Originalrisse, welche dasselbe
besagen, und die ich Ihnen zeigen kann. --
Wegen meiner nahen Abreise drang ich auf
Beschleunigung dieser Gefälligkeit. Er ließ
mich die unschätzbaren Rollen sehn; ich zeich¬
nete geschwind die in der Ausführung fehlen¬
den Spitzen durch ölgetränktes Papier und
bedauerte, nicht früher von diesem Schatz
unterrichtet gewesen zu seyn. Aber so sollte
es mir immer ergehn, daß ich durch An¬

Als ich dieſe Behauptung mit gewoͤhnli¬
cher Lebhaftigkeit ausſprach, redete mich ein
kleiner muntrer Mann an und fragte: wer
hat Ihnen das geſagt? — Der Thurm ſelbſt,
verſetzte ich. Ich habe ihn ſo lange und auf¬
merkſam betrachtet, und ihm ſo viel Neigung
erwieſen, daß er ſich zuletzt entſchloß, mir
dieſes offenbare Geheimniß zu geſtehn. — Er
hat Sie nicht mit Unwahrheit berichtet, ver¬
ſetzte jener; ich kann es am beſten wiſſen,
denn ich bin der Schaffner, der uͤber die Bau¬
lichkeiten geſetzt iſt. Wir haben in unſerem
Archiv noch die Originalriſſe, welche daſſelbe
beſagen, und die ich Ihnen zeigen kann. —
Wegen meiner nahen Abreiſe drang ich auf
Beſchleunigung dieſer Gefaͤlligkeit. Er ließ
mich die unſchaͤtzbaren Rollen ſehn; ich zeich¬
nete geſchwind die in der Ausfuͤhrung fehlen¬
den Spitzen durch oͤlgetraͤnktes Papier und
bedauerte, nicht fruͤher von dieſem Schatz
unterrichtet geweſen zu ſeyn. Aber ſo ſollte
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[126/0134] Als ich dieſe Behauptung mit gewoͤhnli¬ cher Lebhaftigkeit ausſprach, redete mich ein kleiner muntrer Mann an und fragte: wer hat Ihnen das geſagt? — Der Thurm ſelbſt, verſetzte ich. Ich habe ihn ſo lange und auf¬ merkſam betrachtet, und ihm ſo viel Neigung erwieſen, daß er ſich zuletzt entſchloß, mir dieſes offenbare Geheimniß zu geſtehn. — Er hat Sie nicht mit Unwahrheit berichtet, ver¬ ſetzte jener; ich kann es am beſten wiſſen, denn ich bin der Schaffner, der uͤber die Bau¬ lichkeiten geſetzt iſt. Wir haben in unſerem Archiv noch die Originalriſſe, welche daſſelbe beſagen, und die ich Ihnen zeigen kann. — Wegen meiner nahen Abreiſe drang ich auf Beſchleunigung dieſer Gefaͤlligkeit. Er ließ mich die unſchaͤtzbaren Rollen ſehn; ich zeich¬ nete geſchwind die in der Ausfuͤhrung fehlen¬ den Spitzen durch oͤlgetraͤnktes Papier und bedauerte, nicht fruͤher von dieſem Schatz unterrichtet geweſen zu ſeyn. Aber ſo ſollte es mir immer ergehn, daß ich durch An¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/134>, abgerufen am 05.05.2024.