Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

und Kunst; ferner Lenzens Anmer¬
kungen über's Theater, denen eine Ue¬
bersetzung von Love's labours lost hinzu¬
gefügt war. Herder dringt in das Tiefere
von Shakspeare's Wesen und stellt es herr¬
lich dar; Lenz beträgt sich mehr bilderstürme¬
risch gegen die Herkömmlichkeit des Theaters,
und will denn eben all und überall nach Shaks¬
pearescher Weise gehandelt haben. Da ich die¬
sen so talentvollen als seltsamen Menschen
hier zu erwähnen veranlaßt werde, so ist wohl
der Ort, versuchsweise einiges über ihn zu
sagen. Ich lernte ihn erst gegen das Ende
meines Straßburger Aufenthalts kennen. Wir
sahen uns selten; seine Gesellschaft war nicht
die meine, aber wir suchten doch Gelegenheit
uns zu treffen, und theilten uns einander gern
mit, weil wir, als gleichzeitige Jünglinge,
ähnliche Gesinnungen hegten. Klein, aber
nett von Gestalt, ein allerliebstes Köpfchen,
dessen zierlicher Form niedliche etwas abge¬
stumpfte Züge vollkommen entsprachen; blaue

8 *

und Kunſt; ferner Lenzens Anmer¬
kungen uͤber's Theater, denen eine Ue¬
berſetzung von Love's labours lost hinzu¬
gefuͤgt war. Herder dringt in das Tiefere
von Shakspeare's Weſen und ſtellt es herr¬
lich dar; Lenz betraͤgt ſich mehr bilderſtuͤrme¬
riſch gegen die Herkoͤmmlichkeit des Theaters,
und will denn eben all und uͤberall nach Shaks¬
peareſcher Weiſe gehandelt haben. Da ich die¬
ſen ſo talentvollen als ſeltſamen Menſchen
hier zu erwaͤhnen veranlaßt werde, ſo iſt wohl
der Ort, verſuchsweiſe einiges uͤber ihn zu
ſagen. Ich lernte ihn erſt gegen das Ende
meines Straßburger Aufenthalts kennen. Wir
ſahen uns ſelten; ſeine Geſellſchaft war nicht
die meine, aber wir ſuchten doch Gelegenheit
uns zu treffen, und theilten uns einander gern
mit, weil wir, als gleichzeitige Juͤnglinge,
aͤhnliche Geſinnungen hegten. Klein, aber
nett von Geſtalt, ein allerliebſtes Koͤpfchen,
deſſen zierlicher Form niedliche etwas abge¬
ſtumpfte Zuͤge vollkommen entſprachen; blaue

8 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0123" n="115"/>
und Kun&#x017F;t</hi>; ferner <hi rendition="#g">Lenzens Anmer</hi>¬<lb/><hi rendition="#g">kungen u&#x0364;ber's Theater</hi>, denen eine Ue¬<lb/>
ber&#x017F;etzung von <hi rendition="#aq">Love's labours lost</hi> hinzu¬<lb/>
gefu&#x0364;gt war. Herder dringt in das Tiefere<lb/>
von Shakspeare's We&#x017F;en und &#x017F;tellt es herr¬<lb/>
lich dar; Lenz betra&#x0364;gt &#x017F;ich mehr bilder&#x017F;tu&#x0364;rme¬<lb/>
ri&#x017F;ch gegen die Herko&#x0364;mmlichkeit des Theaters,<lb/>
und will denn eben all und u&#x0364;berall nach Shaks¬<lb/>
peare&#x017F;cher Wei&#x017F;e gehandelt haben. Da ich die¬<lb/>
&#x017F;en &#x017F;o talentvollen als &#x017F;elt&#x017F;amen Men&#x017F;chen<lb/>
hier zu erwa&#x0364;hnen veranlaßt werde, &#x017F;o i&#x017F;t wohl<lb/>
der Ort, ver&#x017F;uchswei&#x017F;e einiges u&#x0364;ber ihn zu<lb/>
&#x017F;agen. Ich lernte ihn er&#x017F;t gegen das Ende<lb/>
meines Straßburger Aufenthalts kennen. Wir<lb/>
&#x017F;ahen uns &#x017F;elten; &#x017F;eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft war nicht<lb/>
die meine, aber wir &#x017F;uchten doch Gelegenheit<lb/>
uns zu treffen, und theilten uns einander gern<lb/>
mit, weil wir, als gleichzeitige Ju&#x0364;nglinge,<lb/>
a&#x0364;hnliche Ge&#x017F;innungen hegten. Klein, aber<lb/>
nett von Ge&#x017F;talt, ein allerlieb&#x017F;tes Ko&#x0364;pfchen,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en zierlicher Form niedliche etwas abge¬<lb/>
&#x017F;tumpfte Zu&#x0364;ge vollkommen ent&#x017F;prachen; blaue<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">8 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0123] und Kunſt; ferner Lenzens Anmer¬ kungen uͤber's Theater, denen eine Ue¬ berſetzung von Love's labours lost hinzu¬ gefuͤgt war. Herder dringt in das Tiefere von Shakspeare's Weſen und ſtellt es herr¬ lich dar; Lenz betraͤgt ſich mehr bilderſtuͤrme¬ riſch gegen die Herkoͤmmlichkeit des Theaters, und will denn eben all und uͤberall nach Shaks¬ peareſcher Weiſe gehandelt haben. Da ich die¬ ſen ſo talentvollen als ſeltſamen Menſchen hier zu erwaͤhnen veranlaßt werde, ſo iſt wohl der Ort, verſuchsweiſe einiges uͤber ihn zu ſagen. Ich lernte ihn erſt gegen das Ende meines Straßburger Aufenthalts kennen. Wir ſahen uns ſelten; ſeine Geſellſchaft war nicht die meine, aber wir ſuchten doch Gelegenheit uns zu treffen, und theilten uns einander gern mit, weil wir, als gleichzeitige Juͤnglinge, aͤhnliche Geſinnungen hegten. Klein, aber nett von Geſtalt, ein allerliebſtes Koͤpfchen, deſſen zierlicher Form niedliche etwas abge¬ ſtumpfte Zuͤge vollkommen entſprachen; blaue 8 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/123
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/123>, abgerufen am 06.05.2024.