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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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ser Bewegung rechts und links und nach al¬
len Seiten, ohne weiteres, die unendlichen
Phänomene des Daseyns hervorbringen. Dieß
alles wären wir sogar zufrieden gewesen, wenn
der Verfasser wirklich aus seiner bewegten
Materie die Welt vor unsern Augen aufge¬
baut hätte. Aber er mochte von der Natur
so wenig wissen als wir: denn indem er ei¬
nige allgemeine Begriffe hingepfahlt, verläßt
er sie sogleich, um dasjenige was höher als
die Natur, oder als höhere Natur in der
Natur erscheint, zur materiellen, schweren,
zwar bewegten aber doch richtungs- und ge¬
staltlosen Natur zu verwandeln, und glaubt
dadurch recht viel gewonnen zu haben.

Wenn uns jedoch dieses Buch einigen
Schaden gebracht hat, so war es der, daß
wir aller Philosophie, besonders aber der
Metaphysik, recht herzlich gram wurden und
blieben, dagegen aber aufs lebendige Wissen,

ſer Bewegung rechts und links und nach al¬
len Seiten, ohne weiteres, die unendlichen
Phaͤnomene des Daſeyns hervorbringen. Dieß
alles waͤren wir ſogar zufrieden geweſen, wenn
der Verfaſſer wirklich aus ſeiner bewegten
Materie die Welt vor unſern Augen aufge¬
baut haͤtte. Aber er mochte von der Natur
ſo wenig wiſſen als wir: denn indem er ei¬
nige allgemeine Begriffe hingepfahlt, verlaͤßt
er ſie ſogleich, um dasjenige was hoͤher als
die Natur, oder als hoͤhere Natur in der
Natur erſcheint, zur materiellen, ſchweren,
zwar bewegten aber doch richtungs- und ge¬
ſtaltloſen Natur zu verwandeln, und glaubt
dadurch recht viel gewonnen zu haben.

Wenn uns jedoch dieſes Buch einigen
Schaden gebracht hat, ſo war es der, daß
wir aller Philoſophie, beſonders aber der
Metaphyſik, recht herzlich gram wurden und
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[107/0115] ſer Bewegung rechts und links und nach al¬ len Seiten, ohne weiteres, die unendlichen Phaͤnomene des Daſeyns hervorbringen. Dieß alles waͤren wir ſogar zufrieden geweſen, wenn der Verfaſſer wirklich aus ſeiner bewegten Materie die Welt vor unſern Augen aufge¬ baut haͤtte. Aber er mochte von der Natur ſo wenig wiſſen als wir: denn indem er ei¬ nige allgemeine Begriffe hingepfahlt, verlaͤßt er ſie ſogleich, um dasjenige was hoͤher als die Natur, oder als hoͤhere Natur in der Natur erſcheint, zur materiellen, ſchweren, zwar bewegten aber doch richtungs- und ge¬ ſtaltloſen Natur zu verwandeln, und glaubt dadurch recht viel gewonnen zu haben. Wenn uns jedoch dieſes Buch einigen Schaden gebracht hat, ſo war es der, daß wir aller Philoſophie, beſonders aber der Metaphyſik, recht herzlich gram wurden und blieben, dagegen aber aufs lebendige Wiſſen,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/115>, abgerufen am 05.05.2024.