der Jahreszeiten, der climatischen Einflüsse, der physischen und animalischen Zustände nicht wohl entziehn könnten; doch fühlten wir et¬ was in uns das als vollkommene Willkühr erschien, und wieder etwas das sich mit die¬ ser Willkühr ins Gleichgewicht zu setzen suchte.
Die Hoffnung immer vernünftiger zu wer¬ den, uns von den äußeren Dingen, ja von uns selbst immer unabhängiger zu machen, konnten wir nicht aufgeben. Das Wort Frey¬ heit klingt so schön, daß man es nicht ent¬ behren könnte, und wenn es einen Irrthum bezeichnete.
Keiner von uns hatte das Buch hinaus¬ gelesen: denn wir fanden uns in der Erwar¬ tung getäuscht, in der wir es aufgeschlagen hatten. System der Natur ward angekün¬ digt, und wir hofften also wirklich etwas von der Natur, unserer Abgöttinn, zu erfah¬ ren. Physik und Chemie, Himmels- und
der Jahreszeiten, der climatiſchen Einfluͤſſe, der phyſiſchen und animaliſchen Zuſtaͤnde nicht wohl entziehn koͤnnten; doch fuͤhlten wir et¬ was in uns das als vollkommene Willkuͤhr erſchien, und wieder etwas das ſich mit die¬ ſer Willkuͤhr ins Gleichgewicht zu ſetzen ſuchte.
Die Hoffnung immer vernuͤnftiger zu wer¬ den, uns von den aͤußeren Dingen, ja von uns ſelbſt immer unabhaͤngiger zu machen, konnten wir nicht aufgeben. Das Wort Frey¬ heit klingt ſo ſchoͤn, daß man es nicht ent¬ behren koͤnnte, und wenn es einen Irrthum bezeichnete.
Keiner von uns hatte das Buch hinaus¬ geleſen: denn wir fanden uns in der Erwar¬ tung getaͤuſcht, in der wir es aufgeſchlagen hatten. Syſtem der Natur ward angekuͤn¬ digt, und wir hofften alſo wirklich etwas von der Natur, unſerer Abgoͤttinn, zu erfah¬ ren. Phyſik und Chemie, Himmels- und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0113"n="105"/>
der Jahreszeiten, der climatiſchen Einfluͤſſe,<lb/>
der phyſiſchen und animaliſchen Zuſtaͤnde nicht<lb/>
wohl entziehn koͤnnten; doch fuͤhlten wir et¬<lb/>
was in uns das als vollkommene Willkuͤhr<lb/>
erſchien, und wieder etwas das ſich mit die¬<lb/>ſer Willkuͤhr ins Gleichgewicht zu ſetzen ſuchte.</p><lb/><p>Die Hoffnung immer vernuͤnftiger zu wer¬<lb/>
den, uns von den aͤußeren Dingen, ja von<lb/>
uns ſelbſt immer unabhaͤngiger zu machen,<lb/>
konnten wir nicht aufgeben. Das Wort Frey¬<lb/>
heit klingt ſo ſchoͤn, daß man es nicht ent¬<lb/>
behren koͤnnte, und wenn es einen Irrthum<lb/>
bezeichnete.</p><lb/><p>Keiner von uns hatte das Buch hinaus¬<lb/>
geleſen: denn wir fanden uns in der Erwar¬<lb/>
tung getaͤuſcht, in der wir es aufgeſchlagen<lb/>
hatten. Syſtem der Natur ward angekuͤn¬<lb/>
digt, und wir hofften alſo wirklich etwas<lb/>
von der Natur, unſerer Abgoͤttinn, zu erfah¬<lb/>
ren. Phyſik und Chemie, Himmels- und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[105/0113]
der Jahreszeiten, der climatiſchen Einfluͤſſe,
der phyſiſchen und animaliſchen Zuſtaͤnde nicht
wohl entziehn koͤnnten; doch fuͤhlten wir et¬
was in uns das als vollkommene Willkuͤhr
erſchien, und wieder etwas das ſich mit die¬
ſer Willkuͤhr ins Gleichgewicht zu ſetzen ſuchte.
Die Hoffnung immer vernuͤnftiger zu wer¬
den, uns von den aͤußeren Dingen, ja von
uns ſelbſt immer unabhaͤngiger zu machen,
konnten wir nicht aufgeben. Das Wort Frey¬
heit klingt ſo ſchoͤn, daß man es nicht ent¬
behren koͤnnte, und wenn es einen Irrthum
bezeichnete.
Keiner von uns hatte das Buch hinaus¬
geleſen: denn wir fanden uns in der Erwar¬
tung getaͤuſcht, in der wir es aufgeſchlagen
hatten. Syſtem der Natur ward angekuͤn¬
digt, und wir hofften alſo wirklich etwas
von der Natur, unſerer Abgoͤttinn, zu erfah¬
ren. Phyſik und Chemie, Himmels- und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/113>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.