Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

der Pleiße ein großes Uebergewicht zu haben.
Zachariä's Renommist wird immer ein schätz¬
bares Document bleiben, woraus die dama¬
lige Lebens- und Sinnesart anschaulich her¬
vortritt; wie überhaupt seine Gedichte jedem
willkommen seyn müssen, der sich einen Be¬
griff von dem zwar schwachen, aber wegen
seiner Unschuld und Kindlichkeit liebenswürdi¬
gen Zustande des damaligen geselligen Lebens
und Wesens machen will.

Alle Sitten, die aus einem gegebenen
Verhältniß eines gemeinen Wesens entsprin¬
gen, sind unverwüstlich, und zu meiner Zeit
erinnerte noch manches an Zachariä's Hel¬
dengedicht. Ein einziger unserer academischen
Mitbürger hielt sich für reich und unabhängig
genug, der öffentlichen Meynung ein Schnipp¬
chen zu schlagen. Er trank Schwägerschaft
mit allen Lohnkutschern, die er, als wären's
die Herren, sich in die Wagen setzen ließ und
selbst vom Bocke fuhr, sie einmal umzuwer¬

der Pleiße ein großes Uebergewicht zu haben.
Zachariaͤ's Renommiſt wird immer ein ſchaͤtz¬
bares Document bleiben, woraus die dama¬
lige Lebens- und Sinnesart anſchaulich her¬
vortritt; wie uͤberhaupt ſeine Gedichte jedem
willkommen ſeyn muͤſſen, der ſich einen Be¬
griff von dem zwar ſchwachen, aber wegen
ſeiner Unſchuld und Kindlichkeit liebenswuͤrdi¬
gen Zuſtande des damaligen geſelligen Lebens
und Weſens machen will.

Alle Sitten, die aus einem gegebenen
Verhaͤltniß eines gemeinen Weſens entſprin¬
gen, ſind unverwuͤſtlich, und zu meiner Zeit
erinnerte noch manches an Zachariaͤ's Hel¬
dengedicht. Ein einziger unſerer academiſchen
Mitbuͤrger hielt ſich fuͤr reich und unabhaͤngig
genug, der oͤffentlichen Meynung ein Schnipp¬
chen zu ſchlagen. Er trank Schwaͤgerſchaft
mit allen Lohnkutſchern, die er, als waͤren's
die Herren, ſich in die Wagen ſetzen ließ und
ſelbſt vom Bocke fuhr, ſie einmal umzuwer¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0098" n="90"/>
der Pleiße ein großes Uebergewicht zu haben.<lb/>
Zacharia&#x0364;'s Renommi&#x017F;t wird immer ein &#x017F;cha&#x0364;tz¬<lb/>
bares Document bleiben, woraus die dama¬<lb/>
lige Lebens- und Sinnesart an&#x017F;chaulich her¬<lb/>
vortritt; wie u&#x0364;berhaupt &#x017F;eine Gedichte jedem<lb/>
willkommen &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, der &#x017F;ich einen Be¬<lb/>
griff von dem zwar &#x017F;chwachen, aber wegen<lb/>
&#x017F;einer Un&#x017F;chuld und Kindlichkeit liebenswu&#x0364;rdi¬<lb/>
gen Zu&#x017F;tande des damaligen ge&#x017F;elligen Lebens<lb/>
und We&#x017F;ens machen will.</p><lb/>
        <p>Alle Sitten, die aus einem gegebenen<lb/>
Verha&#x0364;ltniß eines gemeinen We&#x017F;ens ent&#x017F;prin¬<lb/>
gen, &#x017F;ind unverwu&#x0364;&#x017F;tlich, und zu meiner Zeit<lb/>
erinnerte noch manches an Zacharia&#x0364;'s Hel¬<lb/>
dengedicht. Ein einziger un&#x017F;erer academi&#x017F;chen<lb/>
Mitbu&#x0364;rger hielt &#x017F;ich fu&#x0364;r reich und unabha&#x0364;ngig<lb/>
genug, der o&#x0364;ffentlichen Meynung ein Schnipp¬<lb/>
chen zu &#x017F;chlagen. Er trank Schwa&#x0364;ger&#x017F;chaft<lb/>
mit allen Lohnkut&#x017F;chern, die er, als wa&#x0364;ren's<lb/>
die Herren, &#x017F;ich in die Wagen &#x017F;etzen ließ und<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t vom Bocke fuhr, &#x017F;ie einmal umzuwer¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0098] der Pleiße ein großes Uebergewicht zu haben. Zachariaͤ's Renommiſt wird immer ein ſchaͤtz¬ bares Document bleiben, woraus die dama¬ lige Lebens- und Sinnesart anſchaulich her¬ vortritt; wie uͤberhaupt ſeine Gedichte jedem willkommen ſeyn muͤſſen, der ſich einen Be¬ griff von dem zwar ſchwachen, aber wegen ſeiner Unſchuld und Kindlichkeit liebenswuͤrdi¬ gen Zuſtande des damaligen geſelligen Lebens und Weſens machen will. Alle Sitten, die aus einem gegebenen Verhaͤltniß eines gemeinen Weſens entſprin¬ gen, ſind unverwuͤſtlich, und zu meiner Zeit erinnerte noch manches an Zachariaͤ's Hel¬ dengedicht. Ein einziger unſerer academiſchen Mitbuͤrger hielt ſich fuͤr reich und unabhaͤngig genug, der oͤffentlichen Meynung ein Schnipp¬ chen zu ſchlagen. Er trank Schwaͤgerſchaft mit allen Lohnkutſchern, die er, als waͤren's die Herren, ſich in die Wagen ſetzen ließ und ſelbſt vom Bocke fuhr, ſie einmal umzuwer¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/98
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/98>, abgerufen am 21.11.2024.