körperliche Stärke, Fechtergewandtheit, die wildeste Selbsthülfe war dort an der Tages¬ ordnung; und ein solcher Zustand kann sich nur durch den gemeinsten Saus und Braus erhalten und fortpflanzen. Das Verhältniß der Studirenden zu den Einwohnern jener Städte, so verschieden es auch seyn mochte, kam doch darin überein, daß der wilde Fremd¬ ling keine Achtung vor dem Bürger hatte und sich als ein eignes, zu aller Freyheit und Frechheit privilegirtes Wesen ansah. Dage¬ gen konnte in Leipzig ein Student kaum an¬ ders als galant seyn, sobald er mit reichen, wohl und genau gesitteten Einwohnern in ei¬ nigem Bezug stehen wollte.
Alle Galanterie freylich, wenn sie nicht als Blüthe einer großen und weiten Lebensweise hervortritt, muß beschränkt, stationär und aus gewissen Gesichtspuncten vielleicht albern er¬ scheinen; und so glaubten jene wilden Jäger von der Saale über die zahmen Schäfer an
koͤrperliche Staͤrke, Fechtergewandtheit, die wildeſte Selbſthuͤlfe war dort an der Tages¬ ordnung; und ein ſolcher Zuſtand kann ſich nur durch den gemeinſten Saus und Braus erhalten und fortpflanzen. Das Verhaͤltniß der Studirenden zu den Einwohnern jener Staͤdte, ſo verſchieden es auch ſeyn mochte, kam doch darin uͤberein, daß der wilde Fremd¬ ling keine Achtung vor dem Buͤrger hatte und ſich als ein eignes, zu aller Freyheit und Frechheit privilegirtes Weſen anſah. Dage¬ gen konnte in Leipzig ein Student kaum an¬ ders als galant ſeyn, ſobald er mit reichen, wohl und genau geſitteten Einwohnern in ei¬ nigem Bezug ſtehen wollte.
Alle Galanterie freylich, wenn ſie nicht als Bluͤthe einer großen und weiten Lebensweiſe hervortritt, muß beſchraͤnkt, ſtationaͤr und aus gewiſſen Geſichtspuncten vielleicht albern er¬ ſcheinen; und ſo glaubten jene wilden Jaͤger von der Saale uͤber die zahmen Schaͤfer an
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koͤrperliche Staͤrke, Fechtergewandtheit, die
wildeſte Selbſthuͤlfe war dort an der Tages¬
ordnung; und ein ſolcher Zuſtand kann ſich
nur durch den gemeinſten Saus und Braus
erhalten und fortpflanzen. Das Verhaͤltniß
der Studirenden zu den Einwohnern jener
Staͤdte, ſo verſchieden es auch ſeyn mochte,
kam doch darin uͤberein, daß der wilde Fremd¬
ling keine Achtung vor dem Buͤrger hatte
und ſich als ein eignes, zu aller Freyheit und
Frechheit privilegirtes Weſen anſah. Dage¬
gen konnte in Leipzig ein Student kaum an¬
ders als galant ſeyn, ſobald er mit reichen,
wohl und genau geſitteten Einwohnern in ei¬
nigem Bezug ſtehen wollte.
Alle Galanterie freylich, wenn ſie nicht als
Bluͤthe einer großen und weiten Lebensweiſe
hervortritt, muß beſchraͤnkt, ſtationaͤr und aus
gewiſſen Geſichtspuncten vielleicht albern er¬
ſcheinen; und ſo glaubten jene wilden Jaͤger
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/97>, abgerufen am 24.11.2024.
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