se Ruhe zu stören: denn eine aufkeimende Leidenschaft hat das Schöne, daß, wie sie sich ihres Ursprungs unbewußt ist, sie auch keinen Gedanken eines Endes haben, und wie sie sich froh und heiter fühlt, nicht ahn¬ den kann; daß sie wohl auch Unheil stiften dürfte.
Kaum hatte ich Zeit gehabt mich umzu¬ sehn, und verlor mich eben in süße Träume¬ reyen, als ich Jemand kommen hörte; es war Friedricke selbst. -- Georges, was machst du hier? rief sie von weitem. -- Nicht Geor¬ ges! rief ich, indem ich ihr entgegenlief; aber einer, der tausendmal um Verzeihung bittet. Sie betrachtete mich mit Erstaunen, nahm sich aber gleich zusammen und sagte nach einem tieferen Athemholen: Garstiger Mensch, wie erschrecken Sie mich! -- Die erste Masque hat mich in die zweyte getrie¬ ben, rief ich aus; jene wäre unverzeihlich ge¬
ſe Ruhe zu ſtoͤren: denn eine aufkeimende Leidenſchaft hat das Schoͤne, daß, wie ſie ſich ihres Urſprungs unbewußt iſt, ſie auch keinen Gedanken eines Endes haben, und wie ſie ſich froh und heiter fuͤhlt, nicht ahn¬ den kann; daß ſie wohl auch Unheil ſtiften duͤrfte.
Kaum hatte ich Zeit gehabt mich umzu¬ ſehn, und verlor mich eben in ſuͤße Traͤume¬ reyen, als ich Jemand kommen hoͤrte; es war Friedricke ſelbſt. — Georges, was machſt du hier? rief ſie von weitem. — Nicht Geor¬ ges! rief ich, indem ich ihr entgegenlief; aber einer, der tauſendmal um Verzeihung bittet. Sie betrachtete mich mit Erſtaunen, nahm ſich aber gleich zuſammen und ſagte nach einem tieferen Athemholen: Garſtiger Menſch, wie erſchrecken Sie mich! — Die erſte Masque hat mich in die zweyte getrie¬ ben, rief ich aus; jene waͤre unverzeihlich ge¬
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ſe Ruhe zu ſtoͤren: denn eine aufkeimende
Leidenſchaft hat das Schoͤne, daß, wie ſie
ſich ihres Urſprungs unbewußt iſt, ſie auch
keinen Gedanken eines Endes haben, und
wie ſie ſich froh und heiter fuͤhlt, nicht ahn¬
den kann; daß ſie wohl auch Unheil ſtiften
duͤrfte.
Kaum hatte ich Zeit gehabt mich umzu¬
ſehn, und verlor mich eben in ſuͤße Traͤume¬
reyen, als ich Jemand kommen hoͤrte; es
war Friedricke ſelbſt. — Georges, was machſt
du hier? rief ſie von weitem. — Nicht Geor¬
ges! rief ich, indem ich ihr entgegenlief;
aber einer, der tauſendmal um Verzeihung
bittet. Sie betrachtete mich mit Erſtaunen,
nahm ſich aber gleich zuſammen und ſagte
nach einem tieferen Athemholen: Garſtiger
Menſch, wie erſchrecken Sie mich! — Die
erſte Masque hat mich in die zweyte getrie¬
ben, rief ich aus; jene waͤre unverzeihlich ge¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/566>, abgerufen am 23.11.2024.
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