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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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sehr deutlich umher, und das artige Stumpf¬
näschen forschte so frey in die Luft, als wenn
es in der Welt keine Sorge geben könnte;
der Strohhut hing ihr am Arm, und so
hatte ich das Vergnügen, sie beym ersten
Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmuth
und Lieblichkeit zu sehn und zu erkennen.

Ich fing nun an meine Rolle mit Mäßi¬
gung zu spielen, halb beschämt, so gute Men¬
schen zum besten zu haben, die zu beobachten
es mir nicht an Zeit fehlte: denn die Mäd¬
chen setzten jenes Gespräch fort und zwar mit
Leidenschaft und Laune. Sämmtliche Nach¬
barn und Verwandte wurden abermals vor¬
geführt, und es erschien meiner Einbildungs¬
kraft ein solcher Schwarm von Onclen und
Tanten, Vettern, Basen, Kommenden, Ge¬
henden, Gevattern und Gästen, daß ich in
der belebtesten Welt zu hausen glaubte. Alle
Familienglieder hatten einige Worte mit mir

ſehr deutlich umher, und das artige Stumpf¬
naͤschen forſchte ſo frey in die Luft, als wenn
es in der Welt keine Sorge geben koͤnnte;
der Strohhut hing ihr am Arm, und ſo
hatte ich das Vergnuͤgen, ſie beym erſten
Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmuth
und Lieblichkeit zu ſehn und zu erkennen.

Ich fing nun an meine Rolle mit Maͤßi¬
gung zu ſpielen, halb beſchaͤmt, ſo gute Men¬
ſchen zum beſten zu haben, die zu beobachten
es mir nicht an Zeit fehlte: denn die Maͤd¬
chen ſetzten jenes Geſpraͤch fort und zwar mit
Leidenſchaft und Laune. Saͤmmtliche Nach¬
barn und Verwandte wurden abermals vor¬
gefuͤhrt, und es erſchien meiner Einbildungs¬
kraft ein ſolcher Schwarm von Onclen und
Tanten, Vettern, Baſen, Kommenden, Ge¬
henden, Gevattern und Gaͤſten, daß ich in
der belebteſten Welt zu hauſen glaubte. Alle
Familienglieder hatten einige Worte mit mir

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[536/0544] ſehr deutlich umher, und das artige Stumpf¬ naͤschen forſchte ſo frey in die Luft, als wenn es in der Welt keine Sorge geben koͤnnte; der Strohhut hing ihr am Arm, und ſo hatte ich das Vergnuͤgen, ſie beym erſten Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmuth und Lieblichkeit zu ſehn und zu erkennen. Ich fing nun an meine Rolle mit Maͤßi¬ gung zu ſpielen, halb beſchaͤmt, ſo gute Men¬ ſchen zum beſten zu haben, die zu beobachten es mir nicht an Zeit fehlte: denn die Maͤd¬ chen ſetzten jenes Geſpraͤch fort und zwar mit Leidenſchaft und Laune. Saͤmmtliche Nach¬ barn und Verwandte wurden abermals vor¬ gefuͤhrt, und es erſchien meiner Einbildungs¬ kraft ein ſolcher Schwarm von Onclen und Tanten, Vettern, Baſen, Kommenden, Ge¬ henden, Gevattern und Gaͤſten, daß ich in der belebteſten Welt zu hauſen glaubte. Alle Familienglieder hatten einige Worte mit mir

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/544>, abgerufen am 04.07.2024.