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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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wechsel, über deren Gehaltsmangel die neue¬
re Welt sich verwundert, der man nicht ver¬
argen kann, wenn sie kaum die Möglichkeit
einsieht, wie vorzügliche Menschen sich an
einer solchen Wechselnichtigkeit ergetzen konn¬
ten, wenn sie den Wunsch laut werden läßt,
dergleichen Blätter möchten ungedruckt geblie¬
ben seyn. Allein man lasse jene wenigen Bän¬
de doch immer neben so viel andern auf dem
Bücherbrette stehn, wenn man sich daran
belehrt hat, daß der vorzüglichste Mensch auch
nur vom Tage lebt und nur kümmerlichen
Unterhalt genießt, wenn er sich zu sehr auf
sich selbst zurückwirft und in die Fülle der
äußeren Welt zu greifen versäumt, wo er al¬
lein Nahrung für sein Wachsthum und zu¬
gleich einen Maßstab desselben finden kann.

Die Thätigkeit jener Männer stand in ihrer
schönsten Blüthe, als wir jungen Leute uns
auch in unserem Kreise zu regen anfingen,
und ich war so ziemlich auf dem Wege

wechſel, uͤber deren Gehaltsmangel die neue¬
re Welt ſich verwundert, der man nicht ver¬
argen kann, wenn ſie kaum die Moͤglichkeit
einſieht, wie vorzuͤgliche Menſchen ſich an
einer ſolchen Wechſelnichtigkeit ergetzen konn¬
ten, wenn ſie den Wunſch laut werden laͤßt,
dergleichen Blaͤtter moͤchten ungedruckt geblie¬
ben ſeyn. Allein man laſſe jene wenigen Baͤn¬
de doch immer neben ſo viel andern auf dem
Buͤcherbrette ſtehn, wenn man ſich daran
belehrt hat, daß der vorzuͤglichſte Menſch auch
nur vom Tage lebt und nur kuͤmmerlichen
Unterhalt genießt, wenn er ſich zu ſehr auf
ſich ſelbſt zuruͤckwirft und in die Fuͤlle der
aͤußeren Welt zu greifen verſaͤumt, wo er al¬
lein Nahrung fuͤr ſein Wachsthum und zu¬
gleich einen Maßſtab deſſelben finden kann.

Die Thaͤtigkeit jener Maͤnner ſtand in ihrer
ſchoͤnſten Bluͤthe, als wir jungen Leute uns
auch in unſerem Kreiſe zu regen anfingen,
und ich war ſo ziemlich auf dem Wege

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[457/0465] wechſel, uͤber deren Gehaltsmangel die neue¬ re Welt ſich verwundert, der man nicht ver¬ argen kann, wenn ſie kaum die Moͤglichkeit einſieht, wie vorzuͤgliche Menſchen ſich an einer ſolchen Wechſelnichtigkeit ergetzen konn¬ ten, wenn ſie den Wunſch laut werden laͤßt, dergleichen Blaͤtter moͤchten ungedruckt geblie¬ ben ſeyn. Allein man laſſe jene wenigen Baͤn¬ de doch immer neben ſo viel andern auf dem Buͤcherbrette ſtehn, wenn man ſich daran belehrt hat, daß der vorzuͤglichſte Menſch auch nur vom Tage lebt und nur kuͤmmerlichen Unterhalt genießt, wenn er ſich zu ſehr auf ſich ſelbſt zuruͤckwirft und in die Fuͤlle der aͤußeren Welt zu greifen verſaͤumt, wo er al¬ lein Nahrung fuͤr ſein Wachsthum und zu¬ gleich einen Maßſtab deſſelben finden kann. Die Thaͤtigkeit jener Maͤnner ſtand in ihrer ſchoͤnſten Bluͤthe, als wir jungen Leute uns auch in unſerem Kreiſe zu regen anfingen, und ich war ſo ziemlich auf dem Wege

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/465>, abgerufen am 22.11.2024.