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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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kein Recht, meine Frauenzimmer, in Ihre
Geheimnisse einzudringen; vielleicht bin ich
aber im Stande einen guten Rath zu geben,
oder wohl gar zu dienen. Sie eröffneten mir
hierauf ihre peinliche Lage: daß sie nämlich
zwölf Personen zu Tische gebeten, und in
diesem Augenblick sey ein Verwandter von der
Reise zurückgekommen, der nun als der drey¬
zehnte, wo nicht sich selbst, doch gewiß eini¬
gen der Gäste ein fatales Memento mori
werden würde. -- Der Sache ist sehr leicht
abzuhelfen, versetzte ich: Sie erlauben mir,
daß ich mich entferne und mir die Entschädi¬
gung vorbehalte. Da es Personen von An¬
sehen und guter Lebensart waren, so woll¬
ten sie es keinesweges zugeben, sondern schick¬
ten in der Nachbarschaft umher, um den
vierzehnten aufzufinden. Ich ließ es gesche¬
hen, doch da ich den Bedienten unverrichte¬
ter Sache zur Gartenthüre hereinkommen sah,
entwischte ich, und brachte meinen Abend
vergnügt unter den alten Linden der Wan¬

kein Recht, meine Frauenzimmer, in Ihre
Geheimniſſe einzudringen; vielleicht bin ich
aber im Stande einen guten Rath zu geben,
oder wohl gar zu dienen. Sie eroͤffneten mir
hierauf ihre peinliche Lage: daß ſie naͤmlich
zwoͤlf Perſonen zu Tiſche gebeten, und in
dieſem Augenblick ſey ein Verwandter von der
Reiſe zuruͤckgekommen, der nun als der drey¬
zehnte, wo nicht ſich ſelbſt, doch gewiß eini¬
gen der Gaͤſte ein fatales Memento mori
werden wuͤrde. — Der Sache iſt ſehr leicht
abzuhelfen, verſetzte ich: Sie erlauben mir,
daß ich mich entferne und mir die Entſchaͤdi¬
gung vorbehalte. Da es Perſonen von An¬
ſehen und guter Lebensart waren, ſo woll¬
ten ſie es keinesweges zugeben, ſondern ſchick¬
ten in der Nachbarſchaft umher, um den
vierzehnten aufzufinden. Ich ließ es geſche¬
hen, doch da ich den Bedienten unverrichte¬
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[374/0382] kein Recht, meine Frauenzimmer, in Ihre Geheimniſſe einzudringen; vielleicht bin ich aber im Stande einen guten Rath zu geben, oder wohl gar zu dienen. Sie eroͤffneten mir hierauf ihre peinliche Lage: daß ſie naͤmlich zwoͤlf Perſonen zu Tiſche gebeten, und in dieſem Augenblick ſey ein Verwandter von der Reiſe zuruͤckgekommen, der nun als der drey¬ zehnte, wo nicht ſich ſelbſt, doch gewiß eini¬ gen der Gaͤſte ein fatales Memento mori werden wuͤrde. — Der Sache iſt ſehr leicht abzuhelfen, verſetzte ich: Sie erlauben mir, daß ich mich entferne und mir die Entſchaͤdi¬ gung vorbehalte. Da es Perſonen von An¬ ſehen und guter Lebensart waren, ſo woll¬ ten ſie es keinesweges zugeben, ſondern ſchick¬ ten in der Nachbarſchaft umher, um den vierzehnten aufzufinden. Ich ließ es geſche¬ hen, doch da ich den Bedienten unverrichte¬ ter Sache zur Gartenthuͤre hereinkommen ſah, entwiſchte ich, und brachte meinen Abend vergnuͤgt unter den alten Linden der Wan¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/382>, abgerufen am 27.11.2024.