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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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und die Apostel in die Seitensäle eines Hoch¬
zeitgebäudes gebracht, war schon ohne Wahl
und Einsicht geschehen, und ohne Zweifel hat¬
te das Maß der Zimmer den königlichen Tep¬
pichverwahrer geleitet; allein das verzieh ich
gern, weil es mir zu so großem Vortheil ge¬
reichte: nun aber ein Misgriff wie der im
großen Saale brachte mich ganz aus der
Fassung, und ich forderte, lebhaft und heftig,
meine Gefährtin zu Zeugen auf eines solchen
Verbrechens gegen Geschmack und Gefühl. --
Was! rief ich aus, ohne mich um die Um¬
stehenden zu bekümmern: ist es erlaubt, einer
jungen Königinn das Beyspiel der gräßlich¬
sten Hochzeit, die vielleicht jemals vollzogen
worden, bey dem ersten Schritt in ihr Land
so unbesonnen vor's Auge zu bringen! Giebt
es denn unter den französischen Architecten,
Decorateuren, Tapezirern gar keinen Men¬
schen, der begreift, daß Bilder etwas vorstel¬
len, daß Bilder auf Sinn und Gefühl wir¬
ken, daß sie Eindrücke machen, daß sie Ahn¬

und die Apoſtel in die Seitenſaͤle eines Hoch¬
zeitgebaͤudes gebracht, war ſchon ohne Wahl
und Einſicht geſchehen, und ohne Zweifel hat¬
te das Maß der Zimmer den koͤniglichen Tep¬
pichverwahrer geleitet; allein das verzieh ich
gern, weil es mir zu ſo großem Vortheil ge¬
reichte: nun aber ein Misgriff wie der im
großen Saale brachte mich ganz aus der
Faſſung, und ich forderte, lebhaft und heftig,
meine Gefaͤhrtin zu Zeugen auf eines ſolchen
Verbrechens gegen Geſchmack und Gefuͤhl. —
Was! rief ich aus, ohne mich um die Um¬
ſtehenden zu bekuͤmmern: iſt es erlaubt, einer
jungen Koͤniginn das Beyſpiel der graͤßlich¬
ſten Hochzeit, die vielleicht jemals vollzogen
worden, bey dem erſten Schritt in ihr Land
ſo unbeſonnen vor's Auge zu bringen! Giebt
es denn unter den franzoͤſiſchen Architecten,
Decorateuren, Tapezirern gar keinen Men¬
ſchen, der begreift, daß Bilder etwas vorſtel¬
len, daß Bilder auf Sinn und Gefuͤhl wir¬
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[363/0371] und die Apoſtel in die Seitenſaͤle eines Hoch¬ zeitgebaͤudes gebracht, war ſchon ohne Wahl und Einſicht geſchehen, und ohne Zweifel hat¬ te das Maß der Zimmer den koͤniglichen Tep¬ pichverwahrer geleitet; allein das verzieh ich gern, weil es mir zu ſo großem Vortheil ge¬ reichte: nun aber ein Misgriff wie der im großen Saale brachte mich ganz aus der Faſſung, und ich forderte, lebhaft und heftig, meine Gefaͤhrtin zu Zeugen auf eines ſolchen Verbrechens gegen Geſchmack und Gefuͤhl. — Was! rief ich aus, ohne mich um die Um¬ ſtehenden zu bekuͤmmern: iſt es erlaubt, einer jungen Koͤniginn das Beyſpiel der graͤßlich¬ ſten Hochzeit, die vielleicht jemals vollzogen worden, bey dem erſten Schritt in ihr Land ſo unbeſonnen vor's Auge zu bringen! Giebt es denn unter den franzoͤſiſchen Architecten, Decorateuren, Tapezirern gar keinen Men¬ ſchen, der begreift, daß Bilder etwas vorſtel¬ len, daß Bilder auf Sinn und Gefuͤhl wir¬ ken, daß ſie Eindruͤcke machen, daß ſie Ahn¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/371>, abgerufen am 26.11.2024.