sal segnete, das mir für einige Zeit einen so schönen Wohnplatz bestimmt hatte.
Ein solcher frischer Anblick in ein neues Land, in welchem wir uns eine Zeit lang auf¬ halten sollen, hat noch das Eigne, so ange¬ nehme als ahndungsvolle, daß das Ganze wie eine unbeschriebene Tafel vor uns liegt. Noch sind keine Leiden und Freuden, die sich auf uns beziehen, darauf verzeichnet; diese hei¬ tre, bunte, belebte Fläche ist noch stumm für uns; das Auge haftet nur an den Gegen¬ ständen in sofern sie an und für sich bedeu¬ tend sind, und noch haben weder Neigung noch Leidenschaft diese oder jene Stelle beson¬ ders herauszuheben; aber eine Ahndung des¬ sen was kommen wird, beunruhigt schon das junge Herz, und ein unbefriedigtes Bedürf¬ niß fordert im Stillen dasjenige, was kom¬ men soll und mag, und welches auf alle Fälle, es sey nun Wohl oder Weh, unmerk¬
ſal ſegnete, das mir fuͤr einige Zeit einen ſo ſchoͤnen Wohnplatz beſtimmt hatte.
Ein ſolcher friſcher Anblick in ein neues Land, in welchem wir uns eine Zeit lang auf¬ halten ſollen, hat noch das Eigne, ſo ange¬ nehme als ahndungsvolle, daß das Ganze wie eine unbeſchriebene Tafel vor uns liegt. Noch ſind keine Leiden und Freuden, die ſich auf uns beziehen, darauf verzeichnet; dieſe hei¬ tre, bunte, belebte Flaͤche iſt noch ſtumm fuͤr uns; das Auge haftet nur an den Gegen¬ ſtaͤnden in ſofern ſie an und fuͤr ſich bedeu¬ tend ſind, und noch haben weder Neigung noch Leidenſchaft dieſe oder jene Stelle beſon¬ ders herauszuheben; aber eine Ahndung deſ¬ ſen was kommen wird, beunruhigt ſchon das junge Herz, und ein unbefriedigtes Beduͤrf¬ niß fordert im Stillen dasjenige, was kom¬ men ſoll und mag, und welches auf alle Faͤlle, es ſey nun Wohl oder Weh, unmerk¬
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ſal ſegnete, das mir fuͤr einige Zeit einen
ſo ſchoͤnen Wohnplatz beſtimmt hatte.
Ein ſolcher friſcher Anblick in ein neues
Land, in welchem wir uns eine Zeit lang auf¬
halten ſollen, hat noch das Eigne, ſo ange¬
nehme als ahndungsvolle, daß das Ganze wie
eine unbeſchriebene Tafel vor uns liegt. Noch
ſind keine Leiden und Freuden, die ſich auf
uns beziehen, darauf verzeichnet; dieſe hei¬
tre, bunte, belebte Flaͤche iſt noch ſtumm fuͤr
uns; das Auge haftet nur an den Gegen¬
ſtaͤnden in ſofern ſie an und fuͤr ſich bedeu¬
tend ſind, und noch haben weder Neigung
noch Leidenſchaft dieſe oder jene Stelle beſon¬
ders herauszuheben; aber eine Ahndung deſ¬
ſen was kommen wird, beunruhigt ſchon das
junge Herz, und ein unbefriedigtes Beduͤrf¬
niß fordert im Stillen dasjenige, was kom¬
men ſoll und mag, und welches auf alle
Faͤlle, es ſey nun Wohl oder Weh, unmerk¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/356>, abgerufen am 25.11.2024.
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