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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Eine andre Betrachtung, die mir beym
Durchsehen jener Briefe nicht entgehen konnte,
war daß der gute Vater mit der besten Absicht
mir einen besondern Schaden zugefügt und mich
zu der wunderlichen Lebensart veranlaßt hatte,
in die ich zuletzt gerathen war. Er hatte mich
nämlich wiederholt vom Chartenspiel abge¬
mahnt; allein Frau Hofrath Böhme, so
lange sie lebte, wußte mich nach ihrer Weise
zu bestimmen, indem sie die Abmahnung
meines Vaters nur von dem Misbrauch er¬
klärte. Da ich nun auch die Vortheile da¬
von in der Societät einsah, so ließ ich
mich gern durch sie regieren. Ich hatte wohl
den Spiel-Sinn, aber nicht den Spiel-
Geist; ich lernte alle Spiele leicht und
geschwind, aber niemals konnte ich die gehö¬
rige Aufmerksamkeit einen ganzen Abend zu¬
sammenhalten. Wenn ich also recht gut an¬
fing, so verfehlte ichs doch immer am Ende
und machte mich und andre verlieren; wodurch
ich denn jederzeit verdrießlich entweder zur

Eine andre Betrachtung, die mir beym
Durchſehen jener Briefe nicht entgehen konnte,
war daß der gute Vater mit der beſten Abſicht
mir einen beſondern Schaden zugefuͤgt und mich
zu der wunderlichen Lebensart veranlaßt hatte,
in die ich zuletzt gerathen war. Er hatte mich
naͤmlich wiederholt vom Chartenſpiel abge¬
mahnt; allein Frau Hofrath Boͤhme, ſo
lange ſie lebte, wußte mich nach ihrer Weiſe
zu beſtimmen, indem ſie die Abmahnung
meines Vaters nur von dem Misbrauch er¬
klaͤrte. Da ich nun auch die Vortheile da¬
von in der Societaͤt einſah, ſo ließ ich
mich gern durch ſie regieren. Ich hatte wohl
den Spiel-Sinn, aber nicht den Spiel-
Geiſt; ich lernte alle Spiele leicht und
geſchwind, aber niemals konnte ich die gehoͤ¬
rige Aufmerkſamkeit einen ganzen Abend zu¬
ſammenhalten. Wenn ich alſo recht gut an¬
fing, ſo verfehlte ichs doch immer am Ende
und machte mich und andre verlieren; wodurch
ich denn jederzeit verdrießlich entweder zur

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[320/0328] Eine andre Betrachtung, die mir beym Durchſehen jener Briefe nicht entgehen konnte, war daß der gute Vater mit der beſten Abſicht mir einen beſondern Schaden zugefuͤgt und mich zu der wunderlichen Lebensart veranlaßt hatte, in die ich zuletzt gerathen war. Er hatte mich naͤmlich wiederholt vom Chartenſpiel abge¬ mahnt; allein Frau Hofrath Boͤhme, ſo lange ſie lebte, wußte mich nach ihrer Weiſe zu beſtimmen, indem ſie die Abmahnung meines Vaters nur von dem Misbrauch er¬ klaͤrte. Da ich nun auch die Vortheile da¬ von in der Societaͤt einſah, ſo ließ ich mich gern durch ſie regieren. Ich hatte wohl den Spiel-Sinn, aber nicht den Spiel- Geiſt; ich lernte alle Spiele leicht und geſchwind, aber niemals konnte ich die gehoͤ¬ rige Aufmerkſamkeit einen ganzen Abend zu¬ ſammenhalten. Wenn ich alſo recht gut an¬ fing, ſo verfehlte ichs doch immer am Ende und machte mich und andre verlieren; wodurch ich denn jederzeit verdrießlich entweder zur

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/328>, abgerufen am 24.11.2024.