Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

doch auf so manche Weise bedingt fand, daß
man nicht sicher war, sie sich mit Freyheit zu¬
eignen zu dürfen.

Dieser düstre Scrupel quälte mich derge¬
stalt, und die Auskunft, die man mir als
hinreichend vorstellen wollte, schien mir so
kahl und schwach, daß jenes Schreckbild nur
an furchtbarem Ansehen dadurch gewann, und
ich mich, sobald ich Leipzig erreicht hatte, von
der kirchlichen Verbindung ganz und gar los¬
zuwinden suchte. Wie drückend mußten mir
daher Gellerts Anmahnungen werden! den
ich, bey seiner ohnehin laconischen Behand¬
lungsart, womit er unsere Zudringlichkeit ab¬
zulehnen genöthigt war, mit solchen wunder¬
lichen Fragen nicht belästigen wollte, um so
weniger, als ich mich derselben in heiteren
Stunden selbst schämte, und zuletzt diese selt¬
same Gewissensangst mit Kirche und Altar
völlig hinter mir ließ.

II. 13

doch auf ſo manche Weiſe bedingt fand, daß
man nicht ſicher war, ſie ſich mit Freyheit zu¬
eignen zu duͤrfen.

Dieſer duͤſtre Scrupel quaͤlte mich derge¬
ſtalt, und die Auskunft, die man mir als
hinreichend vorſtellen wollte, ſchien mir ſo
kahl und ſchwach, daß jenes Schreckbild nur
an furchtbarem Anſehen dadurch gewann, und
ich mich, ſobald ich Leipzig erreicht hatte, von
der kirchlichen Verbindung ganz und gar los¬
zuwinden ſuchte. Wie druͤckend mußten mir
daher Gellerts Anmahnungen werden! den
ich, bey ſeiner ohnehin laconiſchen Behand¬
lungsart, womit er unſere Zudringlichkeit ab¬
zulehnen genoͤthigt war, mit ſolchen wunder¬
lichen Fragen nicht belaͤſtigen wollte, um ſo
weniger, als ich mich derſelben in heiteren
Stunden ſelbſt ſchaͤmte, und zuletzt dieſe ſelt¬
ſame Gewiſſensangſt mit Kirche und Altar
voͤllig hinter mir ließ.

II. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0201" n="193"/>
doch auf &#x017F;o manche Wei&#x017F;e bedingt fand, daß<lb/>
man nicht &#x017F;icher war, &#x017F;ie &#x017F;ich mit Freyheit zu¬<lb/>
eignen zu du&#x0364;rfen.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er du&#x0364;&#x017F;tre Scrupel qua&#x0364;lte mich derge¬<lb/>
&#x017F;talt, und die Auskunft, die man mir als<lb/>
hinreichend vor&#x017F;tellen wollte, &#x017F;chien mir &#x017F;o<lb/>
kahl und &#x017F;chwach, daß jenes Schreckbild nur<lb/>
an furchtbarem An&#x017F;ehen dadurch gewann, und<lb/>
ich mich, &#x017F;obald ich Leipzig erreicht hatte, von<lb/>
der kirchlichen Verbindung ganz und gar los¬<lb/>
zuwinden &#x017F;uchte. Wie dru&#x0364;ckend mußten mir<lb/>
daher Gellerts Anmahnungen werden! den<lb/>
ich, bey &#x017F;einer ohnehin laconi&#x017F;chen Behand¬<lb/>
lungsart, womit er un&#x017F;ere Zudringlichkeit ab¬<lb/>
zulehnen geno&#x0364;thigt war, mit &#x017F;olchen wunder¬<lb/>
lichen Fragen nicht bela&#x0364;&#x017F;tigen wollte, um &#x017F;o<lb/>
weniger, als ich mich der&#x017F;elben in heiteren<lb/>
Stunden &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;cha&#x0364;mte, und zuletzt die&#x017F;e &#x017F;elt¬<lb/>
&#x017F;ame Gewi&#x017F;&#x017F;ensang&#x017F;t mit Kirche und Altar<lb/>
vo&#x0364;llig hinter mir ließ.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">II. 13<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0201] doch auf ſo manche Weiſe bedingt fand, daß man nicht ſicher war, ſie ſich mit Freyheit zu¬ eignen zu duͤrfen. Dieſer duͤſtre Scrupel quaͤlte mich derge¬ ſtalt, und die Auskunft, die man mir als hinreichend vorſtellen wollte, ſchien mir ſo kahl und ſchwach, daß jenes Schreckbild nur an furchtbarem Anſehen dadurch gewann, und ich mich, ſobald ich Leipzig erreicht hatte, von der kirchlichen Verbindung ganz und gar los¬ zuwinden ſuchte. Wie druͤckend mußten mir daher Gellerts Anmahnungen werden! den ich, bey ſeiner ohnehin laconiſchen Behand¬ lungsart, womit er unſere Zudringlichkeit ab¬ zulehnen genoͤthigt war, mit ſolchen wunder¬ lichen Fragen nicht belaͤſtigen wollte, um ſo weniger, als ich mich derſelben in heiteren Stunden ſelbſt ſchaͤmte, und zuletzt dieſe ſelt¬ ſame Gewiſſensangſt mit Kirche und Altar voͤllig hinter mir ließ. II. 13

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/201
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/201>, abgerufen am 22.11.2024.