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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Ein gleiches Unheil drohte mir in der Mate¬
rie von dem Abendmahl. Es hatte nämlich
schon sehr früh der Spruch, daß einer, der
das Sacrament unwürdig genieße, sich selbst
das Gericht esse und trinke, einen ungeheue¬
ren Eindruck auf mich gemacht. Alles Furcht¬
bare, was ich in den Geschichten der Mittel¬
zeit von Gottesurtheilen, den seltsamsten
fungen durch glühendes Eisen, flammendes
Feuer, schwellendes Wasser gelesen hatte, selbst
was uns die Bibel von der Quelle erzählt,
die dem Unschuldigen wohl bekommt, den
Schuldigen aufbläht und bersten macht, das
alles stellte sich meiner Einbildungskraft dar
und vereinigte sich zu dem höchsten Furchtba¬
ren, indem falsche Zusage, Heucheley, Mein¬
eyd, Gotteslästerung, alles bey der heiligsten
Handlung auf dem Unwürdigen zu lasten
schien, welches um so schrecklicher war, als
ja Niemand sich für würdig erklären durfte,
und man die Vergebung der Sünden, wo¬
durch zuletzt alles ausgeglichen werden sollte,

Ein gleiches Unheil drohte mir in der Mate¬
rie von dem Abendmahl. Es hatte naͤmlich
ſchon ſehr fruͤh der Spruch, daß einer, der
das Sacrament unwuͤrdig genieße, ſich ſelbſt
das Gericht eſſe und trinke, einen ungeheue¬
ren Eindruck auf mich gemacht. Alles Furcht¬
bare, was ich in den Geſchichten der Mittel¬
zeit von Gottesurtheilen, den ſeltſamſten
fungen durch gluͤhendes Eiſen, flammendes
Feuer, ſchwellendes Waſſer geleſen hatte, ſelbſt
was uns die Bibel von der Quelle erzaͤhlt,
die dem Unſchuldigen wohl bekommt, den
Schuldigen aufblaͤht und berſten macht, das
alles ſtellte ſich meiner Einbildungskraft dar
und vereinigte ſich zu dem hoͤchſten Furchtba¬
ren, indem falſche Zuſage, Heucheley, Mein¬
eyd, Gotteslaͤſterung, alles bey der heiligſten
Handlung auf dem Unwuͤrdigen zu laſten
ſchien, welches um ſo ſchrecklicher war, als
ja Niemand ſich fuͤr wuͤrdig erklaͤren durfte,
und man die Vergebung der Suͤnden, wo¬
durch zuletzt alles ausgeglichen werden ſollte,

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[192/0200] Ein gleiches Unheil drohte mir in der Mate¬ rie von dem Abendmahl. Es hatte naͤmlich ſchon ſehr fruͤh der Spruch, daß einer, der das Sacrament unwuͤrdig genieße, ſich ſelbſt das Gericht eſſe und trinke, einen ungeheue¬ ren Eindruck auf mich gemacht. Alles Furcht¬ bare, was ich in den Geſchichten der Mittel¬ zeit von Gottesurtheilen, den ſeltſamſten fungen durch gluͤhendes Eiſen, flammendes Feuer, ſchwellendes Waſſer geleſen hatte, ſelbſt was uns die Bibel von der Quelle erzaͤhlt, die dem Unſchuldigen wohl bekommt, den Schuldigen aufblaͤht und berſten macht, das alles ſtellte ſich meiner Einbildungskraft dar und vereinigte ſich zu dem hoͤchſten Furchtba¬ ren, indem falſche Zuſage, Heucheley, Mein¬ eyd, Gotteslaͤſterung, alles bey der heiligſten Handlung auf dem Unwuͤrdigen zu laſten ſchien, welches um ſo ſchrecklicher war, als ja Niemand ſich fuͤr wuͤrdig erklaͤren durfte, und man die Vergebung der Suͤnden, wo¬ durch zuletzt alles ausgeglichen werden ſollte,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/200>, abgerufen am 22.11.2024.