ich hörte ihm aber schon lange nicht mehr zu: denn daß sie mich für ein Kind zu den Acten erklärt, nahm ich ganz entsetzlich übel, und glaubte mich auf einmal von aller Lei¬ denschaft für sie geheilt; ja ich versicherte ha¬ stig meinen Freund, daß nun alles abgethan sey! Auch sprach ich nicht mehr von ihr, nann¬ te ihren Namen nicht mehr; doch konnte ich die böse Gewohnheit nicht lassen, an sie zu den¬ ken, wir ihre Gestalt, ihr Wesen, ihr Betra¬ gen zu vergegenwärtigen, das mir denn nun freylich jetzt in einem ganz anderen Lichte er¬ schien. Ich fand es unerträglich, daß ein Mädchen, höchstens ein Paar Jahre älter als ich, mich für ein Kind halten sollte, der ich doch für einen ganz gescheuten und geschickten Jun¬ gen zu gelten glaubte. Nun kam mir ihr kal¬ tes, abstoßendes Wesen, das mich sonst so an¬ gereizt hatte, ganz widerlich vor; die Fami¬ liaritäten, die sie sich gegen mich erlaubte, mir aber zu erwidern nicht gestattete, waren mir ganz verhaßt. Das alles wäre jedoch noch
ich hoͤrte ihm aber ſchon lange nicht mehr zu: denn daß ſie mich fuͤr ein Kind zu den Acten erklaͤrt, nahm ich ganz entſetzlich uͤbel, und glaubte mich auf einmal von aller Lei¬ denſchaft fuͤr ſie geheilt; ja ich verſicherte ha¬ ſtig meinen Freund, daß nun alles abgethan ſey! Auch ſprach ich nicht mehr von ihr, nann¬ te ihren Namen nicht mehr; doch konnte ich die boͤſe Gewohnheit nicht laſſen, an ſie zu den¬ ken, wir ihre Geſtalt, ihr Weſen, ihr Betra¬ gen zu vergegenwaͤrtigen, das mir denn nun freylich jetzt in einem ganz anderen Lichte er¬ ſchien. Ich fand es unertraͤglich, daß ein Maͤdchen, hoͤchſtens ein Paar Jahre aͤlter als ich, mich fuͤr ein Kind halten ſollte, der ich doch fuͤr einen ganz geſcheuten und geſchickten Jun¬ gen zu gelten glaubte. Nun kam mir ihr kal¬ tes, abſtoßendes Weſen, das mich ſonſt ſo an¬ gereizt hatte, ganz widerlich vor; die Fami¬ liaritaͤten, die ſie ſich gegen mich erlaubte, mir aber zu erwidern nicht geſtattete, waren mir ganz verhaßt. Das alles waͤre jedoch noch
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ich hoͤrte ihm aber ſchon lange nicht mehr
zu: denn daß ſie mich fuͤr ein Kind zu den
Acten erklaͤrt, nahm ich ganz entſetzlich uͤbel,
und glaubte mich auf einmal von aller Lei¬
denſchaft fuͤr ſie geheilt; ja ich verſicherte ha¬
ſtig meinen Freund, daß nun alles abgethan
ſey! Auch ſprach ich nicht mehr von ihr, nann¬
te ihren Namen nicht mehr; doch konnte ich
die boͤſe Gewohnheit nicht laſſen, an ſie zu den¬
ken, wir ihre Geſtalt, ihr Weſen, ihr Betra¬
gen zu vergegenwaͤrtigen, das mir denn nun
freylich jetzt in einem ganz anderen Lichte er¬
ſchien. Ich fand es unertraͤglich, daß ein
Maͤdchen, hoͤchſtens ein Paar Jahre aͤlter als
ich, mich fuͤr ein Kind halten ſollte, der ich doch
fuͤr einen ganz geſcheuten und geſchickten Jun¬
gen zu gelten glaubte. Nun kam mir ihr kal¬
tes, abſtoßendes Weſen, das mich ſonſt ſo an¬
gereizt hatte, ganz widerlich vor; die Fami¬
liaritaͤten, die ſie ſich gegen mich erlaubte, mir
aber zu erwidern nicht geſtattete, waren mir
ganz verhaßt. Das alles waͤre jedoch noch
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/16>, abgerufen am 03.12.2024.
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