Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

und auf diese Weise, ob es gleich Niemand
mit Bewußtseyn that, vermannigfaltigten sich
die Darstellungsweisen, unter welchen es frey¬
lich auch frazzenhafte gab, und mancher Ver¬
such unglücklich ablief.

Ganz ohne Frage besaß Wieland unter
allen das schönste Naturell. Er hatte sich
früh in jenen ideellen Regionen, ausgebildet,
wo die Jugend so gern verweilt; da ihm
aber diese durch das was man Erfahrung
nennt, durch Begegnisse an Welt und Wei¬
bern verleidet wurden, so warf er sich auf die
Seite des Wirklichen, und gefiel sich und An¬
dern im Widerstreit beyder Welten, wo sich
zwischen Scherz und Ernst, im leichten Ge¬
fecht, sein Talent am allerschönsten zeigte.
Wie manche seiner glänzenden Productionen
fallen in die Zeit meiner academischen Jahre.
Musarion wirkte am meisten auf mich,
und ich kann mich noch des Ortes und der
Stelle erinnern, wo ich den ersten Aushänge¬

und auf dieſe Weiſe, ob es gleich Niemand
mit Bewußtſeyn that, vermannigfaltigten ſich
die Darſtellungsweiſen, unter welchen es frey¬
lich auch frazzenhafte gab, und mancher Ver¬
ſuch ungluͤcklich ablief.

Ganz ohne Frage beſaß Wieland unter
allen das ſchoͤnſte Naturell. Er hatte ſich
fruͤh in jenen ideellen Regionen, ausgebildet,
wo die Jugend ſo gern verweilt; da ihm
aber dieſe durch das was man Erfahrung
nennt, durch Begegniſſe an Welt und Wei¬
bern verleidet wurden, ſo warf er ſich auf die
Seite des Wirklichen, und gefiel ſich und An¬
dern im Widerſtreit beyder Welten, wo ſich
zwiſchen Scherz und Ernſt, im leichten Ge¬
fecht, ſein Talent am allerſchoͤnſten zeigte.
Wie manche ſeiner glaͤnzenden Productionen
fallen in die Zeit meiner academiſchen Jahre.
Muſarion wirkte am meiſten auf mich,
und ich kann mich noch des Ortes und der
Stelle erinnern, wo ich den erſten Aushaͤnge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0144" n="136"/>
und auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e, ob es gleich Niemand<lb/>
mit Bewußt&#x017F;eyn that, vermannigfaltigten &#x017F;ich<lb/>
die Dar&#x017F;tellungswei&#x017F;en, unter welchen es frey¬<lb/>
lich auch frazzenhafte gab, und mancher Ver¬<lb/>
&#x017F;uch unglu&#x0364;cklich ablief.</p><lb/>
        <p>Ganz ohne Frage be&#x017F;<hi rendition="#g">Wieland</hi> unter<lb/>
allen das &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Naturell. Er hatte &#x017F;ich<lb/>
fru&#x0364;h in jenen ideellen Regionen, ausgebildet,<lb/>
wo die Jugend &#x017F;o gern verweilt; da ihm<lb/>
aber die&#x017F;e durch das was man Erfahrung<lb/>
nennt, durch Begegni&#x017F;&#x017F;e an Welt und Wei¬<lb/>
bern verleidet wurden, &#x017F;o warf er &#x017F;ich auf die<lb/>
Seite des Wirklichen, und gefiel &#x017F;ich und An¬<lb/>
dern im Wider&#x017F;treit beyder Welten, wo &#x017F;ich<lb/>
zwi&#x017F;chen Scherz und Ern&#x017F;t, im leichten Ge¬<lb/>
fecht, &#x017F;ein Talent am aller&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten zeigte.<lb/>
Wie manche &#x017F;einer gla&#x0364;nzenden Productionen<lb/>
fallen in die Zeit meiner academi&#x017F;chen Jahre.<lb/><hi rendition="#g">Mu&#x017F;arion</hi> wirkte am mei&#x017F;ten auf mich,<lb/>
und ich kann mich noch des Ortes und der<lb/>
Stelle erinnern, wo ich den er&#x017F;ten Ausha&#x0364;nge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0144] und auf dieſe Weiſe, ob es gleich Niemand mit Bewußtſeyn that, vermannigfaltigten ſich die Darſtellungsweiſen, unter welchen es frey¬ lich auch frazzenhafte gab, und mancher Ver¬ ſuch ungluͤcklich ablief. Ganz ohne Frage beſaß Wieland unter allen das ſchoͤnſte Naturell. Er hatte ſich fruͤh in jenen ideellen Regionen, ausgebildet, wo die Jugend ſo gern verweilt; da ihm aber dieſe durch das was man Erfahrung nennt, durch Begegniſſe an Welt und Wei¬ bern verleidet wurden, ſo warf er ſich auf die Seite des Wirklichen, und gefiel ſich und An¬ dern im Widerſtreit beyder Welten, wo ſich zwiſchen Scherz und Ernſt, im leichten Ge¬ fecht, ſein Talent am allerſchoͤnſten zeigte. Wie manche ſeiner glaͤnzenden Productionen fallen in die Zeit meiner academiſchen Jahre. Muſarion wirkte am meiſten auf mich, und ich kann mich noch des Ortes und der Stelle erinnern, wo ich den erſten Aushaͤnge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/144
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/144>, abgerufen am 22.11.2024.