schmacksregel hervorgebracht oder verbessert wird. Die Rhythmik lag damals noch in der Wiege, und Niemand wußte ein Mittel ihre Kindheit zu verkürzen. Die poetische Prosa nahm überhand. Geßner und Klop¬ stock erregten manche Nachahmer; andere wie¬ der forderten doch ein Sylbenmaß und über¬ setzten diese Profe in faßliche Rhythmen. Aber auch diese machten es Niemand zu Dank: denn sie mußten auslassen und zu¬ setzen, und das prosaische Original galt im¬ mer für das Bessere. Jemehr aber bey al¬ lem diesem das Gedrungene gesucht wird, desto mehr wird Beurtheilung möglich, weil das Bedeutende, enger zusammengebracht, endlich eine sichere Vergleichung zuläßt. Es ergab sich auch zugleich, daß mehrere Arten von wahrhaft poetischen Formen entstanden: denn indem man von einem jeden Gegenstande, den man nachbilden wollte, nur das Noth¬ wendige darzustellen suchte, so mußte man ei¬ nem jeden Gerechtigkeit widerfahren lassen,
ſchmacksregel hervorgebracht oder verbeſſert wird. Die Rhythmik lag damals noch in der Wiege, und Niemand wußte ein Mittel ihre Kindheit zu verkuͤrzen. Die poetiſche Proſa nahm uͤberhand. Geßner und Klop¬ ſtock erregten manche Nachahmer; andere wie¬ der forderten doch ein Sylbenmaß und uͤber¬ ſetzten dieſe Profe in faßliche Rhythmen. Aber auch dieſe machten es Niemand zu Dank: denn ſie mußten auslaſſen und zu¬ ſetzen, und das proſaiſche Original galt im¬ mer fuͤr das Beſſere. Jemehr aber bey al¬ lem dieſem das Gedrungene geſucht wird, deſto mehr wird Beurtheilung moͤglich, weil das Bedeutende, enger zuſammengebracht, endlich eine ſichere Vergleichung zulaͤßt. Es ergab ſich auch zugleich, daß mehrere Arten von wahrhaft poetiſchen Formen entſtanden: denn indem man von einem jeden Gegenſtande, den man nachbilden wollte, nur das Noth¬ wendige darzuſtellen ſuchte, ſo mußte man ei¬ nem jeden Gerechtigkeit widerfahren laſſen,
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ſchmacksregel hervorgebracht oder verbeſſert
wird. Die Rhythmik lag damals noch in
der Wiege, und Niemand wußte ein Mittel
ihre Kindheit zu verkuͤrzen. Die poetiſche
Proſa nahm uͤberhand. Geßner und Klop¬
ſtock erregten manche Nachahmer; andere wie¬
der forderten doch ein Sylbenmaß und uͤber¬
ſetzten dieſe Profe in faßliche Rhythmen.
Aber auch dieſe machten es Niemand zu
Dank: denn ſie mußten auslaſſen und zu¬
ſetzen, und das proſaiſche Original galt im¬
mer fuͤr das Beſſere. Jemehr aber bey al¬
lem dieſem das Gedrungene geſucht wird, deſto
mehr wird Beurtheilung moͤglich, weil das
Bedeutende, enger zuſammengebracht, endlich
eine ſichere Vergleichung zulaͤßt. Es ergab
ſich auch zugleich, daß mehrere Arten von
wahrhaft poetiſchen Formen entſtanden: denn
indem man von einem jeden Gegenſtande,
den man nachbilden wollte, nur das Noth¬
wendige darzuſtellen ſuchte, ſo mußte man ei¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/143>, abgerufen am 22.11.2024.
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