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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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Kupfern im französischen Theatersinne geziert.
Diese Bilder verdarben mir dermaßen die Ein¬
bildungskraft, daß ich lange Zeit die home¬
rischen Helden mir nur unter diesen Gestalten
vergegenwärtigen konnte. Die Begebenheiten
selbst gefielen mir unsäglich; nur hatte ich an
dem Werte sehr auszusetzen, daß es uns von
der Eroberung Troja's keine Nachricht gebe,
und so stumpf mit dem Tode Hectors endige.
Mein Oheim, gegen den ich diesen Tadel
äußerte, verwies mich auf den Virgil, wel¬
cher denn meiner Forderung vollkommen Ge¬
nüge that.

Es versteht sich von selbst, daß wir Kin¬
der, neben den übrigen Lehrstunden, auch
eines fortwährenden und fortschreitenden Re¬
ligionsunterrichts genossen. Doch war der
kirchliche Protestantismus, den man uns über¬
lieferte, eigentlich nur eine Art von trockner
Moral: an einen geistreichen Vortrag ward
nicht gedacht, und die Lehre konnte weder

Kupfern im franzoͤſiſchen Theaterſinne geziert.
Dieſe Bilder verdarben mir dermaßen die Ein¬
bildungskraft, daß ich lange Zeit die home¬
riſchen Helden mir nur unter dieſen Geſtalten
vergegenwaͤrtigen konnte. Die Begebenheiten
ſelbſt gefielen mir unſaͤglich; nur hatte ich an
dem Werte ſehr auszuſetzen, daß es uns von
der Eroberung Troja's keine Nachricht gebe,
und ſo ſtumpf mit dem Tode Hectors endige.
Mein Oheim, gegen den ich dieſen Tadel
aͤußerte, verwies mich auf den Virgil, wel¬
cher denn meiner Forderung vollkommen Ge¬
nuͤge that.

Es verſteht ſich von ſelbſt, daß wir Kin¬
der, neben den uͤbrigen Lehrſtunden, auch
eines fortwaͤhrenden und fortſchreitenden Re¬
ligionsunterrichts genoſſen. Doch war der
kirchliche Proteſtantismus, den man uns uͤber¬
lieferte, eigentlich nur eine Art von trockner
Moral: an einen geiſtreichen Vortrag ward
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[82/0098] Kupfern im franzoͤſiſchen Theaterſinne geziert. Dieſe Bilder verdarben mir dermaßen die Ein¬ bildungskraft, daß ich lange Zeit die home¬ riſchen Helden mir nur unter dieſen Geſtalten vergegenwaͤrtigen konnte. Die Begebenheiten ſelbſt gefielen mir unſaͤglich; nur hatte ich an dem Werte ſehr auszuſetzen, daß es uns von der Eroberung Troja's keine Nachricht gebe, und ſo ſtumpf mit dem Tode Hectors endige. Mein Oheim, gegen den ich dieſen Tadel aͤußerte, verwies mich auf den Virgil, wel¬ cher denn meiner Forderung vollkommen Ge¬ nuͤge that. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß wir Kin¬ der, neben den uͤbrigen Lehrſtunden, auch eines fortwaͤhrenden und fortſchreitenden Re¬ ligionsunterrichts genoſſen. Doch war der kirchliche Proteſtantismus, den man uns uͤber¬ lieferte, eigentlich nur eine Art von trockner Moral: an einen geiſtreichen Vortrag ward nicht gedacht, und die Lehre konnte weder

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/98>, abgerufen am 24.11.2024.