Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Bey dieser Gelegenheit gedenk' ich dersel¬
ben mit Dankbarkeit für vieles Gute, das
ich von ihnen in meiner Jugend empfangen.
So waren wir z. B. auf gar mannigfaltige
Weise beschäftigt und unterhalten, wenn wir
die an einen Materialhändler Melbert ver¬
heiratete zweyte Tochter besuchten, deren Woh¬
nung und Laden mitten im lebhaftesten, ge¬
drängtesten Theile der Stadt an dem Markte
lag. Hier sahen wir nun dem Gewühl und
Gedränge, in welches wir uns scheuten zu
verlieren, sehr vergnüglich aus den Fenstern
zu; und wenn uns im Laden unter so vieler¬
ley Waaren anfänglich nur das Süßholtz und
die daraus bereiteten braunen gestempelten
Zeltlein vorzüglich interessirten: so wurden
wir doch allmählich mit der großen Menge
von Gegenständen bekannt, welche bey einer
solchen Handlung aus- und einfließen. Die¬
se Tante war unter den Geschwistern die
lebhafteste. Wenn meine Mutter, in jün¬
gern Jahren, sich in reinlicher Kleidung, bey

Bey dieſer Gelegenheit gedenk' ich derſel¬
ben mit Dankbarkeit fuͤr vieles Gute, das
ich von ihnen in meiner Jugend empfangen.
So waren wir z. B. auf gar mannigfaltige
Weiſe beſchaͤftigt und unterhalten, wenn wir
die an einen Materialhaͤndler Melbert ver¬
heiratete zweyte Tochter beſuchten, deren Woh¬
nung und Laden mitten im lebhafteſten, ge¬
draͤngteſten Theile der Stadt an dem Markte
lag. Hier ſahen wir nun dem Gewuͤhl und
Gedraͤnge, in welches wir uns ſcheuten zu
verlieren, ſehr vergnuͤglich aus den Fenſtern
zu; und wenn uns im Laden unter ſo vieler¬
ley Waaren anfaͤnglich nur das Suͤßholtz und
die daraus bereiteten braunen geſtempelten
Zeltlein vorzuͤglich intereſſirten: ſo wurden
wir doch allmaͤhlich mit der großen Menge
von Gegenſtaͤnden bekannt, welche bey einer
ſolchen Handlung aus- und einfließen. Die¬
ſe Tante war unter den Geſchwiſtern die
lebhafteſte. Wenn meine Mutter, in juͤn¬
gern Jahren, ſich in reinlicher Kleidung, bey

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0095" n="79"/>
      <p>Bey die&#x017F;er Gelegenheit gedenk' ich der&#x017F;el¬<lb/>
ben mit Dankbarkeit fu&#x0364;r vieles Gute, das<lb/>
ich von ihnen in meiner Jugend empfangen.<lb/>
So waren wir z. B. auf gar mannigfaltige<lb/>
Wei&#x017F;e be&#x017F;cha&#x0364;ftigt und unterhalten, wenn wir<lb/>
die an einen Materialha&#x0364;ndler <hi rendition="#g">Melbert</hi> ver¬<lb/>
heiratete zweyte Tochter be&#x017F;uchten, deren Woh¬<lb/>
nung und Laden mitten im lebhafte&#x017F;ten, ge¬<lb/>
dra&#x0364;ngte&#x017F;ten Theile der Stadt an dem Markte<lb/>
lag. Hier &#x017F;ahen wir nun dem Gewu&#x0364;hl und<lb/>
Gedra&#x0364;nge, in welches wir uns &#x017F;cheuten zu<lb/>
verlieren, &#x017F;ehr vergnu&#x0364;glich aus den Fen&#x017F;tern<lb/>
zu; und wenn uns im Laden unter &#x017F;o vieler¬<lb/>
ley Waaren anfa&#x0364;nglich nur das Su&#x0364;ßholtz und<lb/>
die daraus bereiteten braunen ge&#x017F;tempelten<lb/>
Zeltlein vorzu&#x0364;glich intere&#x017F;&#x017F;irten: &#x017F;o wurden<lb/>
wir doch allma&#x0364;hlich mit der großen Menge<lb/>
von Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden bekannt, welche bey einer<lb/>
&#x017F;olchen Handlung aus- und einfließen. Die¬<lb/>
&#x017F;e Tante war unter den Ge&#x017F;chwi&#x017F;tern die<lb/>
lebhafte&#x017F;te. Wenn meine Mutter, in ju&#x0364;<lb/>
gern Jahren, &#x017F;ich in reinlicher Kleidung, bey<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0095] Bey dieſer Gelegenheit gedenk' ich derſel¬ ben mit Dankbarkeit fuͤr vieles Gute, das ich von ihnen in meiner Jugend empfangen. So waren wir z. B. auf gar mannigfaltige Weiſe beſchaͤftigt und unterhalten, wenn wir die an einen Materialhaͤndler Melbert ver¬ heiratete zweyte Tochter beſuchten, deren Woh¬ nung und Laden mitten im lebhafteſten, ge¬ draͤngteſten Theile der Stadt an dem Markte lag. Hier ſahen wir nun dem Gewuͤhl und Gedraͤnge, in welches wir uns ſcheuten zu verlieren, ſehr vergnuͤglich aus den Fenſtern zu; und wenn uns im Laden unter ſo vieler¬ ley Waaren anfaͤnglich nur das Suͤßholtz und die daraus bereiteten braunen geſtempelten Zeltlein vorzuͤglich intereſſirten: ſo wurden wir doch allmaͤhlich mit der großen Menge von Gegenſtaͤnden bekannt, welche bey einer ſolchen Handlung aus- und einfließen. Die¬ ſe Tante war unter den Geſchwiſtern die lebhafteſte. Wenn meine Mutter, in juͤn¬ gern Jahren, ſich in reinlicher Kleidung, bey

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/95
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/95>, abgerufen am 23.06.2024.