Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

andern Morgen durch den Gerichtsboten an¬
gesagt. Weil diesem nun das Licht in der
Laterne verlöschen wollte, so erbat er sich ein
Stümpfchen, um seinen Weg weiter fortsetzen
zu können. "Gebt ihm ein ganzes, sagte
der Großvater zu den Frauen: er hat ja
doch die Mühe um meinetwillen." Dieser
Aeußerung entsprach auch der Erfolg: er wur¬
de wirklich Schultheiß; wobey der Umstand
noch besonders merkwürdig war, daß, ob¬
gleich sein Repräsentant bey der Kugelung
an der dritten und letzten Stelle zu ziehen
hatte, die zwey silbernen Kugeln zuerst her¬
aus kamen, und also die goldne für ihn auf
dem Grunde des Beutels liegen blieb.

Völlig prosaisch, einfach und ohne Spur
von Phantastischem oder Wundersamem wa¬
ren auch die übrigen der uns bekannt geword¬
nen Träume. Ferner erinnere ich mich, daß
ich als Knabe unter seinen Büchern und
Schreibcalendern gestört, und darin unter

andern Morgen durch den Gerichtsboten an¬
geſagt. Weil dieſem nun das Licht in der
Laterne verloͤſchen wollte, ſo erbat er ſich ein
Stuͤmpfchen, um ſeinen Weg weiter fortſetzen
zu koͤnnen. „Gebt ihm ein ganzes, ſagte
der Großvater zu den Frauen: er hat ja
doch die Muͤhe um meinetwillen.“ Dieſer
Aeußerung entſprach auch der Erfolg: er wur¬
de wirklich Schultheiß; wobey der Umſtand
noch beſonders merkwuͤrdig war, daß, ob¬
gleich ſein Repraͤſentant bey der Kugelung
an der dritten und letzten Stelle zu ziehen
hatte, die zwey ſilbernen Kugeln zuerſt her¬
aus kamen, und alſo die goldne fuͤr ihn auf
dem Grunde des Beutels liegen blieb.

Voͤllig proſaiſch, einfach und ohne Spur
von Phantaſtiſchem oder Wunderſamem wa¬
ren auch die uͤbrigen der uns bekannt geword¬
nen Traͤume. Ferner erinnere ich mich, daß
ich als Knabe unter ſeinen Buͤchern und
Schreibcalendern geſtoͤrt, und darin unter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0093" n="77"/>
andern Morgen durch den Gerichtsboten an¬<lb/>
ge&#x017F;agt. Weil die&#x017F;em nun das Licht in der<lb/>
Laterne verlo&#x0364;&#x017F;chen wollte, &#x017F;o erbat er &#x017F;ich ein<lb/>
Stu&#x0364;mpfchen, um &#x017F;einen Weg weiter fort&#x017F;etzen<lb/>
zu ko&#x0364;nnen. &#x201E;Gebt ihm ein ganzes, &#x017F;agte<lb/>
der Großvater zu den Frauen: er hat ja<lb/>
doch die Mu&#x0364;he um meinetwillen.&#x201C; Die&#x017F;er<lb/>
Aeußerung ent&#x017F;prach auch der Erfolg: er wur¬<lb/>
de wirklich Schultheiß; wobey der Um&#x017F;tand<lb/>
noch be&#x017F;onders merkwu&#x0364;rdig war, daß, ob¬<lb/>
gleich &#x017F;ein Repra&#x0364;&#x017F;entant bey der Kugelung<lb/>
an der dritten und letzten Stelle zu ziehen<lb/>
hatte, die zwey &#x017F;ilbernen Kugeln zuer&#x017F;t her¬<lb/>
aus kamen, und al&#x017F;o die goldne fu&#x0364;r ihn auf<lb/>
dem Grunde des Beutels liegen blieb.</p><lb/>
      <p>Vo&#x0364;llig pro&#x017F;ai&#x017F;ch, einfach und ohne Spur<lb/>
von Phanta&#x017F;ti&#x017F;chem oder Wunder&#x017F;amem wa¬<lb/>
ren auch die u&#x0364;brigen der uns bekannt geword¬<lb/>
nen Tra&#x0364;ume. Ferner erinnere ich mich, daß<lb/>
ich als Knabe unter &#x017F;einen Bu&#x0364;chern und<lb/>
Schreibcalendern ge&#x017F;to&#x0364;rt, und darin unter<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0093] andern Morgen durch den Gerichtsboten an¬ geſagt. Weil dieſem nun das Licht in der Laterne verloͤſchen wollte, ſo erbat er ſich ein Stuͤmpfchen, um ſeinen Weg weiter fortſetzen zu koͤnnen. „Gebt ihm ein ganzes, ſagte der Großvater zu den Frauen: er hat ja doch die Muͤhe um meinetwillen.“ Dieſer Aeußerung entſprach auch der Erfolg: er wur¬ de wirklich Schultheiß; wobey der Umſtand noch beſonders merkwuͤrdig war, daß, ob¬ gleich ſein Repraͤſentant bey der Kugelung an der dritten und letzten Stelle zu ziehen hatte, die zwey ſilbernen Kugeln zuerſt her¬ aus kamen, und alſo die goldne fuͤr ihn auf dem Grunde des Beutels liegen blieb. Voͤllig proſaiſch, einfach und ohne Spur von Phantaſtiſchem oder Wunderſamem wa¬ ren auch die uͤbrigen der uns bekannt geword¬ nen Traͤume. Ferner erinnere ich mich, daß ich als Knabe unter ſeinen Buͤchern und Schreibcalendern geſtoͤrt, und darin unter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/93
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/93>, abgerufen am 17.05.2024.