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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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ten brauche: denn ich sey unschuldig, von gutem
Hause und wohl empfohlen; aber jene könnten
eben so unschuldig seyn, ohne daß man sie da¬
für anerkenne oder sonst begünstige. Ich er¬
klärte zugleich, daß wenn man jene nicht wie
mich schonen, ihren Thorheiten nachsehen, und
ihre Fehler verzeihen wolle, wenn ihnen nur
im mindesten hart und unrecht geschehe, so
würde ich mir ein Leids anthun, und daran
solle mich Niemand hindern. Auch hierüber
suchte mich der Freund zu beruhigen; aber ich
traute ihm nicht, und war, als er mich zu¬
letzt verließ, in der entsetzlichsten Lage. Ich
machte mir nun doch Vorwürfe, die Sache
erzählt und alle die Verhältnisse ans Licht ge¬
bracht zu haben. Ich sah voraus, daß man
die kindlichen Handlungen, die jugendlichen
Neigungen und Vertraulichkeiten ganz anders
auslegen würde, und daß ich vielleicht den
guten Pylades mit in diesen Handel verwi¬
ckeln und sehr unglücklich machen könnte.
Alle diese Vorstellungen drängten sich lebhaft

ten brauche: denn ich ſey unſchuldig, von gutem
Hauſe und wohl empfohlen; aber jene koͤnnten
eben ſo unſchuldig ſeyn, ohne daß man ſie da¬
fuͤr anerkenne oder ſonſt beguͤnſtige. Ich er¬
klaͤrte zugleich, daß wenn man jene nicht wie
mich ſchonen, ihren Thorheiten nachſehen, und
ihre Fehler verzeihen wolle, wenn ihnen nur
im mindeſten hart und unrecht geſchehe, ſo
wuͤrde ich mir ein Leids anthun, und daran
ſolle mich Niemand hindern. Auch hieruͤber
ſuchte mich der Freund zu beruhigen; aber ich
traute ihm nicht, und war, als er mich zu¬
letzt verließ, in der entſetzlichſten Lage. Ich
machte mir nun doch Vorwuͤrfe, die Sache
erzaͤhlt und alle die Verhaͤltniſſe ans Licht ge¬
bracht zu haben. Ich ſah voraus, daß man
die kindlichen Handlungen, die jugendlichen
Neigungen und Vertraulichkeiten ganz anders
auslegen wuͤrde, und daß ich vielleicht den
guten Pylades mit in dieſen Handel verwi¬
ckeln und ſehr ungluͤcklich machen koͤnnte.
Alle dieſe Vorſtellungen draͤngten ſich lebhaft

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[508/0524] ten brauche: denn ich ſey unſchuldig, von gutem Hauſe und wohl empfohlen; aber jene koͤnnten eben ſo unſchuldig ſeyn, ohne daß man ſie da¬ fuͤr anerkenne oder ſonſt beguͤnſtige. Ich er¬ klaͤrte zugleich, daß wenn man jene nicht wie mich ſchonen, ihren Thorheiten nachſehen, und ihre Fehler verzeihen wolle, wenn ihnen nur im mindeſten hart und unrecht geſchehe, ſo wuͤrde ich mir ein Leids anthun, und daran ſolle mich Niemand hindern. Auch hieruͤber ſuchte mich der Freund zu beruhigen; aber ich traute ihm nicht, und war, als er mich zu¬ letzt verließ, in der entſetzlichſten Lage. Ich machte mir nun doch Vorwuͤrfe, die Sache erzaͤhlt und alle die Verhaͤltniſſe ans Licht ge¬ bracht zu haben. Ich ſah voraus, daß man die kindlichen Handlungen, die jugendlichen Neigungen und Vertraulichkeiten ganz anders auslegen wuͤrde, und daß ich vielleicht den guten Pylades mit in dieſen Handel verwi¬ ckeln und ſehr ungluͤcklich machen koͤnnte. Alle dieſe Vorſtellungen draͤngten ſich lebhaft

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/524>, abgerufen am 17.05.2024.