Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

ster Wunsch war, heute wo möglich nur
einen Blick hinein zu thun. Ich begab mich
daher auf gewohnten Pfaden wieder an die
große Treppe, welcher die Thüre des Saals
gerade gegenüber steht. Hier staunte ich nun
die vornehmen Personen an, welche sich heute
als Diener des Reichsoberhauptes bekannten.
Vier und vierzig Grafen, die Speisen aus
der Küche herantragend, zogen an mir vor¬
bey, alle prächtig gekleidet, so daß der Con¬
trast ihres Anstandes mit der Handlung für
einen Knaben wohl sinnverwirrend seyn
konnte. Das Gedränge war nicht groß, doch
wegen des kleinen Raums merklich genug.
Die Saalthüre war bewacht, indeß gingen
die Befugten häufig aus und ein. Ich erblickte
einen Pfälzischen Hausoffizianten, den ich
anredete, ob er mich nicht mit hinein bringen
könne. Er besann sich nicht lange, gab mir
eins der silbernen Gefäße, die er eben trug,
welches er um so eher konnte, als ich sauber
gekleidet war; und so gelangte ich denn in

ſter Wunſch war, heute wo moͤglich nur
einen Blick hinein zu thun. Ich begab mich
daher auf gewohnten Pfaden wieder an die
große Treppe, welcher die Thuͤre des Saals
gerade gegenuͤber ſteht. Hier ſtaunte ich nun
die vornehmen Perſonen an, welche ſich heute
als Diener des Reichsoberhauptes bekannten.
Vier und vierzig Grafen, die Speiſen aus
der Kuͤche herantragend, zogen an mir vor¬
bey, alle praͤchtig gekleidet, ſo daß der Con¬
traſt ihres Anſtandes mit der Handlung fuͤr
einen Knaben wohl ſinnverwirrend ſeyn
konnte. Das Gedraͤnge war nicht groß, doch
wegen des kleinen Raums merklich genug.
Die Saalthuͤre war bewacht, indeß gingen
die Befugten haͤufig aus und ein. Ich erblickte
einen Pfaͤlziſchen Hausoffizianten, den ich
anredete, ob er mich nicht mit hinein bringen
koͤnne. Er beſann ſich nicht lange, gab mir
eins der ſilbernen Gefaͤße, die er eben trug,
welches er um ſo eher konnte, als ich ſauber
gekleidet war; und ſo gelangte ich denn in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0507" n="491"/>
&#x017F;ter Wun&#x017F;ch war, heute wo mo&#x0364;glich nur<lb/>
einen Blick hinein zu thun. Ich begab mich<lb/>
daher auf gewohnten Pfaden wieder an die<lb/>
große Treppe, welcher die Thu&#x0364;re des Saals<lb/>
gerade gegenu&#x0364;ber &#x017F;teht. Hier &#x017F;taunte ich nun<lb/>
die vornehmen Per&#x017F;onen an, welche &#x017F;ich heute<lb/>
als Diener des Reichsoberhauptes bekannten.<lb/>
Vier und vierzig Grafen, die Spei&#x017F;en aus<lb/>
der Ku&#x0364;che herantragend, zogen an mir vor¬<lb/>
bey, alle pra&#x0364;chtig gekleidet, &#x017F;o daß der Con¬<lb/>
tra&#x017F;t ihres An&#x017F;tandes mit der Handlung fu&#x0364;r<lb/>
einen Knaben wohl &#x017F;innverwirrend &#x017F;eyn<lb/>
konnte. Das Gedra&#x0364;nge war nicht groß, doch<lb/>
wegen des kleinen Raums merklich genug.<lb/>
Die Saalthu&#x0364;re war bewacht, indeß gingen<lb/>
die Befugten ha&#x0364;ufig aus und ein. Ich erblickte<lb/>
einen Pfa&#x0364;lzi&#x017F;chen Hausoffizianten, den ich<lb/>
anredete, ob er mich nicht mit hinein bringen<lb/>
ko&#x0364;nne. Er be&#x017F;ann &#x017F;ich nicht lange, gab mir<lb/>
eins der &#x017F;ilbernen Gefa&#x0364;ße, die er eben trug,<lb/>
welches er um &#x017F;o eher konnte, als ich &#x017F;auber<lb/>
gekleidet war; und &#x017F;o gelangte ich denn in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[491/0507] ſter Wunſch war, heute wo moͤglich nur einen Blick hinein zu thun. Ich begab mich daher auf gewohnten Pfaden wieder an die große Treppe, welcher die Thuͤre des Saals gerade gegenuͤber ſteht. Hier ſtaunte ich nun die vornehmen Perſonen an, welche ſich heute als Diener des Reichsoberhauptes bekannten. Vier und vierzig Grafen, die Speiſen aus der Kuͤche herantragend, zogen an mir vor¬ bey, alle praͤchtig gekleidet, ſo daß der Con¬ traſt ihres Anſtandes mit der Handlung fuͤr einen Knaben wohl ſinnverwirrend ſeyn konnte. Das Gedraͤnge war nicht groß, doch wegen des kleinen Raums merklich genug. Die Saalthuͤre war bewacht, indeß gingen die Befugten haͤufig aus und ein. Ich erblickte einen Pfaͤlziſchen Hausoffizianten, den ich anredete, ob er mich nicht mit hinein bringen koͤnne. Er beſann ſich nicht lange, gab mir eins der ſilbernen Gefaͤße, die er eben trug, welches er um ſo eher konnte, als ich ſauber gekleidet war; und ſo gelangte ich denn in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/507
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/507>, abgerufen am 09.11.2024.