Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

te sich nach der Fahrgasse, nach der Brücke,
bis über Sachsenhausen hinaus; alle Fenster
waren besetzt, ohne daß den Tag über was
besonderes vorging; die Menge schien nur da
zu seyn, um sich zu drängen, und die Zu¬
schauer, um sich unter einander zu betrach¬
ten: denn das worauf es eigentlich ankam,
ereignete sich erst mit sinkender Nacht, und
wurde mehr geglaubt als mit Augen gesehen.

In jenen ältern unruhigen Zeiten näm¬
lich, wo ein Jeder nach Belieben Unrecht
that, oder nach Lust das Rechte beförderte,
wurden die auf die Messen ziehenden Han¬
delsleute von Wegelagerern, edlen und uned¬
len Geschlechts, willkührlich geplagt und ge¬
plackt, so daß Fürsten und andre mächtige
Stände die Ihrigen mit gewaffneter Hand
bis nach Frankfurt geleiten ließen. Hier
wollten nun aber die Reichsstädter sich selbst
und ihrem Gebiet nichts vergeben; sie zogen
den Ankömmlingen entgegen: da gab es denn

te ſich nach der Fahrgaſſe, nach der Bruͤcke,
bis uͤber Sachſenhauſen hinaus; alle Fenſter
waren beſetzt, ohne daß den Tag uͤber was
beſonderes vorging; die Menge ſchien nur da
zu ſeyn, um ſich zu draͤngen, und die Zu¬
ſchauer, um ſich unter einander zu betrach¬
ten: denn das worauf es eigentlich ankam,
ereignete ſich erſt mit ſinkender Nacht, und
wurde mehr geglaubt als mit Augen geſehen.

In jenen aͤltern unruhigen Zeiten naͤm¬
lich, wo ein Jeder nach Belieben Unrecht
that, oder nach Luſt das Rechte befoͤrderte,
wurden die auf die Meſſen ziehenden Han¬
delsleute von Wegelagerern, edlen und uned¬
len Geſchlechts, willkuͤhrlich geplagt und ge¬
plackt, ſo daß Fuͤrſten und andre maͤchtige
Staͤnde die Ihrigen mit gewaffneter Hand
bis nach Frankfurt geleiten ließen. Hier
wollten nun aber die Reichsſtaͤdter ſich ſelbſt
und ihrem Gebiet nichts vergeben; ſie zogen
den Ankoͤmmlingen entgegen: da gab es denn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0050" n="34"/>
te &#x017F;ich nach der Fahrga&#x017F;&#x017F;e, nach der Bru&#x0364;cke,<lb/>
bis u&#x0364;ber Sach&#x017F;enhau&#x017F;en hinaus; alle Fen&#x017F;ter<lb/>
waren be&#x017F;etzt, ohne daß den Tag u&#x0364;ber was<lb/>
be&#x017F;onderes vorging; die Menge &#x017F;chien nur da<lb/>
zu &#x017F;eyn, um &#x017F;ich zu dra&#x0364;ngen, und die Zu¬<lb/>
&#x017F;chauer, um &#x017F;ich unter einander zu betrach¬<lb/>
ten: denn das worauf es eigentlich ankam,<lb/>
ereignete &#x017F;ich er&#x017F;t mit &#x017F;inkender Nacht, und<lb/>
wurde mehr geglaubt als mit Augen ge&#x017F;ehen.</p><lb/>
      <p>In jenen a&#x0364;ltern unruhigen Zeiten na&#x0364;<lb/>
lich, wo ein Jeder nach Belieben Unrecht<lb/>
that, oder nach Lu&#x017F;t das Rechte befo&#x0364;rderte,<lb/>
wurden die auf die Me&#x017F;&#x017F;en ziehenden Han¬<lb/>
delsleute von Wegelagerern, edlen und uned¬<lb/>
len Ge&#x017F;chlechts, willku&#x0364;hrlich geplagt und ge¬<lb/>
plackt, &#x017F;o daß Fu&#x0364;r&#x017F;ten und andre ma&#x0364;chtige<lb/>
Sta&#x0364;nde die Ihrigen mit gewaffneter Hand<lb/>
bis nach Frankfurt geleiten ließen. Hier<lb/>
wollten nun aber die Reichs&#x017F;ta&#x0364;dter &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
und ihrem Gebiet nichts vergeben; &#x017F;ie zogen<lb/>
den Anko&#x0364;mmlingen entgegen: da gab es denn<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0050] te ſich nach der Fahrgaſſe, nach der Bruͤcke, bis uͤber Sachſenhauſen hinaus; alle Fenſter waren beſetzt, ohne daß den Tag uͤber was beſonderes vorging; die Menge ſchien nur da zu ſeyn, um ſich zu draͤngen, und die Zu¬ ſchauer, um ſich unter einander zu betrach¬ ten: denn das worauf es eigentlich ankam, ereignete ſich erſt mit ſinkender Nacht, und wurde mehr geglaubt als mit Augen geſehen. In jenen aͤltern unruhigen Zeiten naͤm¬ lich, wo ein Jeder nach Belieben Unrecht that, oder nach Luſt das Rechte befoͤrderte, wurden die auf die Meſſen ziehenden Han¬ delsleute von Wegelagerern, edlen und uned¬ len Geſchlechts, willkuͤhrlich geplagt und ge¬ plackt, ſo daß Fuͤrſten und andre maͤchtige Staͤnde die Ihrigen mit gewaffneter Hand bis nach Frankfurt geleiten ließen. Hier wollten nun aber die Reichsſtaͤdter ſich ſelbſt und ihrem Gebiet nichts vergeben; ſie zogen den Ankoͤmmlingen entgegen: da gab es denn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/50
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/50>, abgerufen am 21.11.2024.