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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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mehr, als sie sonst durchaus sehr ehrenvoll
darauf hielten, daß Jeder nur seine Zeche
bezahlte. Sie lächelten über meine Verlegen¬
heit, und der Jüngere fuhr fort: "Laßt uns
erst in die Laube sitzen und dann sollt Ihr
das Weitre erfahren." Wir saßen, und er
sagte: "Als Ihr die Liebesepistel neulich mit¬
genommen hattet, sprachen wir die ganze
Sache noch einmal durch und machten die
Betrachtung, daß wir so ganz umsonst, an¬
dern zum Verdruß und uns zur Gefahr, aus
bloßer leidiger Schadenfreude, Euer Talent
misbrauchen, da wir es doch zu unser aller
Vortheil benutzen könnten. Seht, ich habe
hier eine Bestellung auf ein Hochzeit-Ge¬
dicht, so wie auf ein Leichen-Carmen. Das
zweyte muß gleich fertig seyn, das erste hat
noch acht Tage Zeit. Mögt Ihr sie machen,
welches Euch ein Leichtes ist, so tractirt Ihr
uns zweymal, und wir bleiben auf lange
Zeit Eure Schuldner." -- Dieser Vorschlag
gefiel mir von allen Seiten: denn ich hatte

mehr, als ſie ſonſt durchaus ſehr ehrenvoll
darauf hielten, daß Jeder nur ſeine Zeche
bezahlte. Sie laͤchelten uͤber meine Verlegen¬
heit, und der Juͤngere fuhr fort: „Laßt uns
erſt in die Laube ſitzen und dann ſollt Ihr
das Weitre erfahren.“ Wir ſaßen, und er
ſagte: „Als Ihr die Liebesepiſtel neulich mit¬
genommen hattet, ſprachen wir die ganze
Sache noch einmal durch und machten die
Betrachtung, daß wir ſo ganz umſonſt, an¬
dern zum Verdruß und uns zur Gefahr, aus
bloßer leidiger Schadenfreude, Euer Talent
misbrauchen, da wir es doch zu unſer aller
Vortheil benutzen koͤnnten. Seht, ich habe
hier eine Beſtellung auf ein Hochzeit-Ge¬
dicht, ſo wie auf ein Leichen-Carmen. Das
zweyte muß gleich fertig ſeyn, das erſte hat
noch acht Tage Zeit. Moͤgt Ihr ſie machen,
welches Euch ein Leichtes iſt, ſo tractirt Ihr
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Zeit Eure Schuldner.“ — Dieſer Vorſchlag
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[407/0423] mehr, als ſie ſonſt durchaus ſehr ehrenvoll darauf hielten, daß Jeder nur ſeine Zeche bezahlte. Sie laͤchelten uͤber meine Verlegen¬ heit, und der Juͤngere fuhr fort: „Laßt uns erſt in die Laube ſitzen und dann ſollt Ihr das Weitre erfahren.“ Wir ſaßen, und er ſagte: „Als Ihr die Liebesepiſtel neulich mit¬ genommen hattet, ſprachen wir die ganze Sache noch einmal durch und machten die Betrachtung, daß wir ſo ganz umſonſt, an¬ dern zum Verdruß und uns zur Gefahr, aus bloßer leidiger Schadenfreude, Euer Talent misbrauchen, da wir es doch zu unſer aller Vortheil benutzen koͤnnten. Seht, ich habe hier eine Beſtellung auf ein Hochzeit-Ge¬ dicht, ſo wie auf ein Leichen-Carmen. Das zweyte muß gleich fertig ſeyn, das erſte hat noch acht Tage Zeit. Moͤgt Ihr ſie machen, welches Euch ein Leichtes iſt, ſo tractirt Ihr uns zweymal, und wir bleiben auf lange Zeit Eure Schuldner.“ — Dieſer Vorſchlag gefiel mir von allen Seiten: denn ich hatte

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/423>, abgerufen am 02.09.2024.