Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.Frauenzimmer, dem er von fern den Hof Mystificationen sind und bleiben eine Un¬ Frauenzimmer, dem er von fern den Hof Myſtificationen ſind und bleiben eine Un¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0409" n="393"/> Frauenzimmer, dem er von fern den Hof<lb/> gemacht, ſey in ihn aufs aͤußerſte verliebt,<lb/> und ſuche Gelegenheit ihm naͤher bekannt zu<lb/> werden. Sie vertrauten mir dabey, er<lb/> wuͤnſche nichts mehr als ihr auch in Verſen<lb/> antworten zu koͤnnen; aber weder bey ihm<lb/> noch bey ihnen finde ſich Geſchick dazu, wes¬<lb/> halb ſie mich inſtaͤndig baͤten, die gewuͤnſchte<lb/> Antwort ſelbſt zu verfaſſen.</p><lb/> <p>Myſtificationen ſind und bleiben eine Un¬<lb/> terhaltung fuͤr muͤßige, mehr oder weniger<lb/> geiſtreiche Menſchen. Eine laͤßliche Bosheit,<lb/> eine ſelbſtgefaͤllige Schadenfreude ſind ein Ge¬<lb/> nuß fuͤr diejenigen, die ſich weder mit ſich<lb/> ſelbſt beſchaͤftigen, noch nach außen heilſam<lb/> wirken koͤnnen. Kein Alter iſt ganz frey<lb/> von einem ſolchen Kitzel. Wir hatten uns<lb/> in unſern Knabenjahren einander oft ange¬<lb/> fuͤhrt; viele Spiele beruhen auf ſolchen My¬<lb/> ſtificationen und Attrapen; der gegenwaͤrtige<lb/> Scherz ſchien mir nicht weiter zu gehen: ich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [393/0409]
Frauenzimmer, dem er von fern den Hof
gemacht, ſey in ihn aufs aͤußerſte verliebt,
und ſuche Gelegenheit ihm naͤher bekannt zu
werden. Sie vertrauten mir dabey, er
wuͤnſche nichts mehr als ihr auch in Verſen
antworten zu koͤnnen; aber weder bey ihm
noch bey ihnen finde ſich Geſchick dazu, wes¬
halb ſie mich inſtaͤndig baͤten, die gewuͤnſchte
Antwort ſelbſt zu verfaſſen.
Myſtificationen ſind und bleiben eine Un¬
terhaltung fuͤr muͤßige, mehr oder weniger
geiſtreiche Menſchen. Eine laͤßliche Bosheit,
eine ſelbſtgefaͤllige Schadenfreude ſind ein Ge¬
nuß fuͤr diejenigen, die ſich weder mit ſich
ſelbſt beſchaͤftigen, noch nach außen heilſam
wirken koͤnnen. Kein Alter iſt ganz frey
von einem ſolchen Kitzel. Wir hatten uns
in unſern Knabenjahren einander oft ange¬
fuͤhrt; viele Spiele beruhen auf ſolchen My¬
ſtificationen und Attrapen; der gegenwaͤrtige
Scherz ſchien mir nicht weiter zu gehen: ich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/409 |
Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/409>, abgerufen am 16.02.2025. |