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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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Den Gästen erregte jedoch ein großer, aus
vielen Ritzen rauchender Ofen die ärgste
Pein. Einer der vertrautesten wagte einmal
dieß zu bemerken, indem er den Hausherrn
fragte: ob er denn so eine Unbequemlichkeit
den ganzen Winter aushalten könne. Er
antwortete darauf, als ein zweyter Timon
und Heautontimorumenos: "Wollte Gott,
dieß wäre das größte Uebel von denen die
mich plagen!" Nur spät ließ er sich bereden,
Tochter und Enkel wiederzusehen. Der
Schwiegersohn durfte ihm nicht wieder vor
Augen.

Auf diesen so braven als unglücklichen
Mann wirkte meine Gegenwart sehr günstig:
denn indem er sich gern mit mir unterhielt,
und mich besonders von Welt- und Staats¬
verhältnissen belehrte, schien er selbst sich erleich¬
tert und erheitert zu fühlen. Die wenigen
alten Freunde, die sich noch um ihn versam¬
melten, gebrauchten mich daher oft, wenn sie

Den Gaͤſten erregte jedoch ein großer, aus
vielen Ritzen rauchender Ofen die aͤrgſte
Pein. Einer der vertrauteſten wagte einmal
dieß zu bemerken, indem er den Hausherrn
fragte: ob er denn ſo eine Unbequemlichkeit
den ganzen Winter aushalten koͤnne. Er
antwortete darauf, als ein zweyter Timon
und Heautontimorumenos: „Wollte Gott,
dieß waͤre das groͤßte Uebel von denen die
mich plagen!“ Nur ſpaͤt ließ er ſich bereden,
Tochter und Enkel wiederzuſehen. Der
Schwiegerſohn durfte ihm nicht wieder vor
Augen.

Auf dieſen ſo braven als ungluͤcklichen
Mann wirkte meine Gegenwart ſehr guͤnſtig:
denn indem er ſich gern mit mir unterhielt,
und mich beſonders von Welt- und Staats¬
verhaͤltniſſen belehrte, ſchien er ſelbſt ſich erleich¬
tert und erheitert zu fuͤhlen. Die wenigen
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[374/0390] Den Gaͤſten erregte jedoch ein großer, aus vielen Ritzen rauchender Ofen die aͤrgſte Pein. Einer der vertrauteſten wagte einmal dieß zu bemerken, indem er den Hausherrn fragte: ob er denn ſo eine Unbequemlichkeit den ganzen Winter aushalten koͤnne. Er antwortete darauf, als ein zweyter Timon und Heautontimorumenos: „Wollte Gott, dieß waͤre das groͤßte Uebel von denen die mich plagen!“ Nur ſpaͤt ließ er ſich bereden, Tochter und Enkel wiederzuſehen. Der Schwiegerſohn durfte ihm nicht wieder vor Augen. Auf dieſen ſo braven als ungluͤcklichen Mann wirkte meine Gegenwart ſehr guͤnſtig: denn indem er ſich gern mit mir unterhielt, und mich beſonders von Welt- und Staats¬ verhaͤltniſſen belehrte, ſchien er ſelbſt ſich erleich¬ tert und erheitert zu fuͤhlen. Die wenigen alten Freunde, die ſich noch um ihn verſam¬ melten, gebrauchten mich daher oft, wenn ſie

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/390>, abgerufen am 15.06.2024.