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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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Da ich hier wieder der Malerey gedenke,
so tritt in meiner Erinnerung eine große An¬
stalt hervor, in der ich viele Zeit zubrachte,
weil sie und deren Vorsteher mich besonders
an sich zog. Es war die große Wachstuchs¬
fabrik, welche der Maler Nothnagel er¬
richtet hatte: ein geschickter Künstler, der
aber sowohl durch sein Talent als durch seine
Denkweise mehr zum Fabrikwesen als zur
Kunst hinneigte. In einem sehr großen
Raume von Höfen und Gärten wurden alle
Arten von Wachstuch gefertigt, von dem
rohsten an, das mit der Spatel aufgetragen
wird, und das man zu Rüstwagen und ähn¬
lichem Gebrauch benutzte, durch die Tapeten
hindurch, welche mit Formen abgedruckt wur¬
den, bis zu den feineren und feinsten, auf
welchen bald chinesische und fantastische, bald
natürliche Blumen abgebildet, bald Figuren,
bald Landschaften durch den Pinsel geschickter
Arbeiter dargestellt wurden. Diese Mannig¬
faltigkeit, die ins Unendliche ging, ergetzte

Da ich hier wieder der Malerey gedenke,
ſo tritt in meiner Erinnerung eine große An¬
ſtalt hervor, in der ich viele Zeit zubrachte,
weil ſie und deren Vorſteher mich beſonders
an ſich zog. Es war die große Wachstuchs¬
fabrik, welche der Maler Nothnagel er¬
richtet hatte: ein geſchickter Kuͤnſtler, der
aber ſowohl durch ſein Talent als durch ſeine
Denkweiſe mehr zum Fabrikweſen als zur
Kunſt hinneigte. In einem ſehr großen
Raume von Hoͤfen und Gaͤrten wurden alle
Arten von Wachstuch gefertigt, von dem
rohſten an, das mit der Spatel aufgetragen
wird, und das man zu Ruͤſtwagen und aͤhn¬
lichem Gebrauch benutzte, durch die Tapeten
hindurch, welche mit Formen abgedruckt wur¬
den, bis zu den feineren und feinſten, auf
welchen bald chineſiſche und fantaſtiſche, bald
natuͤrliche Blumen abgebildet, bald Figuren,
bald Landſchaften durch den Pinſel geſchickter
Arbeiter dargeſtellt wurden. Dieſe Mannig¬
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[365/0381] Da ich hier wieder der Malerey gedenke, ſo tritt in meiner Erinnerung eine große An¬ ſtalt hervor, in der ich viele Zeit zubrachte, weil ſie und deren Vorſteher mich beſonders an ſich zog. Es war die große Wachstuchs¬ fabrik, welche der Maler Nothnagel er¬ richtet hatte: ein geſchickter Kuͤnſtler, der aber ſowohl durch ſein Talent als durch ſeine Denkweiſe mehr zum Fabrikweſen als zur Kunſt hinneigte. In einem ſehr großen Raume von Hoͤfen und Gaͤrten wurden alle Arten von Wachstuch gefertigt, von dem rohſten an, das mit der Spatel aufgetragen wird, und das man zu Ruͤſtwagen und aͤhn¬ lichem Gebrauch benutzte, durch die Tapeten hindurch, welche mit Formen abgedruckt wur¬ den, bis zu den feineren und feinſten, auf welchen bald chineſiſche und fantaſtiſche, bald natuͤrliche Blumen abgebildet, bald Figuren, bald Landſchaften durch den Pinſel geſchickter Arbeiter dargeſtellt wurden. Dieſe Mannig¬ faltigkeit, die ins Unendliche ging, ergetzte

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/381>, abgerufen am 26.11.2024.