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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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so nahm ich mir vor sorgfältiger nachzuschrei¬
ben, welches mir um so eher gelang, als ich
auf einem zum Hören sehr bequemen, übri¬
gens aber verborgenen Sitz schon geringere
Versuche gemacht hatte. Ich war höchst auf¬
merksam und behend; in dem Augenblick
daß er Amen sagte, eilte ich aus der Kirche
und wendete ein paar Stunden daran, das
was ich auf dem Papier und im Gedächtniß
fixirt hatte, eilig zu dictiren, so daß ich die
geschriebene Predigt noch vor Tische überrei¬
chen konnte. Mein Vater war sehr glorios
über dieses Gelingen, und der gute Haus¬
freund, der eben zu Tische kam, mußte die
Freude theilen. Dieser war mir ohnehin
höchst günstig, weil ich mir seinen Messias
so zu eigen gemacht hatte, daß ich ihm, bey
meinen öftern Besuchen, um Siegelabdrücke
für meine Wappensammlung zu holen, große
Stellen davon vortragen konnte, so daß ihm
die Thränen in den Augen standen.

I. 22

ſo nahm ich mir vor ſorgfaͤltiger nachzuſchrei¬
ben, welches mir um ſo eher gelang, als ich
auf einem zum Hoͤren ſehr bequemen, uͤbri¬
gens aber verborgenen Sitz ſchon geringere
Verſuche gemacht hatte. Ich war hoͤchſt auf¬
merkſam und behend; in dem Augenblick
daß er Amen ſagte, eilte ich aus der Kirche
und wendete ein paar Stunden daran, das
was ich auf dem Papier und im Gedaͤchtniß
fixirt hatte, eilig zu dictiren, ſo daß ich die
geſchriebene Predigt noch vor Tiſche uͤberrei¬
chen konnte. Mein Vater war ſehr glorios
uͤber dieſes Gelingen, und der gute Haus¬
freund, der eben zu Tiſche kam, mußte die
Freude theilen. Dieſer war mir ohnehin
hoͤchſt guͤnſtig, weil ich mir ſeinen Meſſias
ſo zu eigen gemacht hatte, daß ich ihm, bey
meinen oͤftern Beſuchen, um Siegelabdruͤcke
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[337/0353] ſo nahm ich mir vor ſorgfaͤltiger nachzuſchrei¬ ben, welches mir um ſo eher gelang, als ich auf einem zum Hoͤren ſehr bequemen, uͤbri¬ gens aber verborgenen Sitz ſchon geringere Verſuche gemacht hatte. Ich war hoͤchſt auf¬ merkſam und behend; in dem Augenblick daß er Amen ſagte, eilte ich aus der Kirche und wendete ein paar Stunden daran, das was ich auf dem Papier und im Gedaͤchtniß fixirt hatte, eilig zu dictiren, ſo daß ich die geſchriebene Predigt noch vor Tiſche uͤberrei¬ chen konnte. Mein Vater war ſehr glorios uͤber dieſes Gelingen, und der gute Haus¬ freund, der eben zu Tiſche kam, mußte die Freude theilen. Dieſer war mir ohnehin hoͤchſt guͤnſtig, weil ich mir ſeinen Meſſias ſo zu eigen gemacht hatte, daß ich ihm, bey meinen oͤftern Beſuchen, um Siegelabdruͤcke fuͤr meine Wappenſammlung zu holen, große Stellen davon vortragen konnte, ſo daß ihm die Thraͤnen in den Augen ſtanden. I. 22

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/353>, abgerufen am 01.09.2024.