Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

man uns zu Bette; es war schon spät und
wir gehorchten gern. Nach einer ruhig durch¬
schlafenen Nacht erfuhren wir die gewaltsame
Bewegung, die gestern Abend das Haus er¬
schüttert hatte. Der Königs-Lieutenant hatte
sogleich befohlen, den Vater auf die Wache
zu führen. Die Subalternen wußten wohl,
daß ihm niemals zu widersprechen war; doch
hatten sie sich manchmal Dank verdient, wenn
sie mit der Ausführung zauderten. Diese
Gesinnung wußte der Gevatter Dolmetsch,
den die Geistesgegenwart niemals verließ,
aufs lebhafteste bey ihnen rege zu machen.
Der Tumult war ohnehin so groß, daß eine
Zögerung sich von selbst versteckte und ent¬
schuldigte. Er hatte meine Mutter heraus¬
gerufen, und ihr den Adjutanten gleichsam
in die Hände gegeben, daß sie durch Bitten
und Vorstellungen nur einigen Aufschub erlan¬
gen möchte. Er selbst eilte schnell hinauf
zum Grafen, der sich bey der großen Beherr¬
schung seiner selbst sogleich ins innre Zimmer

man uns zu Bette; es war ſchon ſpaͤt und
wir gehorchten gern. Nach einer ruhig durch¬
ſchlafenen Nacht erfuhren wir die gewaltſame
Bewegung, die geſtern Abend das Haus er¬
ſchuͤttert hatte. Der Koͤnigs-Lieutenant hatte
ſogleich befohlen, den Vater auf die Wache
zu fuͤhren. Die Subalternen wußten wohl,
daß ihm niemals zu widerſprechen war; doch
hatten ſie ſich manchmal Dank verdient, wenn
ſie mit der Ausfuͤhrung zauderten. Dieſe
Geſinnung wußte der Gevatter Dolmetſch,
den die Geiſtesgegenwart niemals verließ,
aufs lebhafteſte bey ihnen rege zu machen.
Der Tumult war ohnehin ſo groß, daß eine
Zoͤgerung ſich von ſelbſt verſteckte und ent¬
ſchuldigte. Er hatte meine Mutter heraus¬
gerufen, und ihr den Adjutanten gleichſam
in die Haͤnde gegeben, daß ſie durch Bitten
und Vorſtellungen nur einigen Aufſchub erlan¬
gen moͤchte. Er ſelbſt eilte ſchnell hinauf
zum Grafen, der ſich bey der großen Beherr¬
ſchung ſeiner ſelbſt ſogleich ins innre Zimmer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0245" n="229"/>
man uns zu Bette; es war &#x017F;chon &#x017F;pa&#x0364;t und<lb/>
wir gehorchten gern. Nach einer ruhig durch¬<lb/>
&#x017F;chlafenen Nacht erfuhren wir die gewalt&#x017F;ame<lb/>
Bewegung, die ge&#x017F;tern Abend das Haus er¬<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;ttert hatte. Der Ko&#x0364;nigs-Lieutenant hatte<lb/>
&#x017F;ogleich befohlen, den Vater auf die Wache<lb/>
zu fu&#x0364;hren. Die Subalternen wußten wohl,<lb/>
daß ihm niemals zu wider&#x017F;prechen war; doch<lb/>
hatten &#x017F;ie &#x017F;ich manchmal Dank verdient, wenn<lb/>
&#x017F;ie mit der Ausfu&#x0364;hrung zauderten. Die&#x017F;e<lb/>
Ge&#x017F;innung wußte der Gevatter Dolmet&#x017F;ch,<lb/>
den die Gei&#x017F;tesgegenwart niemals verließ,<lb/>
aufs lebhafte&#x017F;te bey ihnen rege zu machen.<lb/>
Der Tumult war ohnehin &#x017F;o groß, daß eine<lb/>
Zo&#x0364;gerung &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;teckte und ent¬<lb/>
&#x017F;chuldigte. Er hatte meine Mutter heraus¬<lb/>
gerufen, und ihr den Adjutanten gleich&#x017F;am<lb/>
in die Ha&#x0364;nde gegeben, daß &#x017F;ie durch Bitten<lb/>
und Vor&#x017F;tellungen nur einigen Auf&#x017F;chub erlan¬<lb/>
gen mo&#x0364;chte. Er &#x017F;elb&#x017F;t eilte &#x017F;chnell hinauf<lb/>
zum Grafen, der &#x017F;ich bey der großen Beherr¬<lb/>
&#x017F;chung &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ogleich ins innre Zimmer<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0245] man uns zu Bette; es war ſchon ſpaͤt und wir gehorchten gern. Nach einer ruhig durch¬ ſchlafenen Nacht erfuhren wir die gewaltſame Bewegung, die geſtern Abend das Haus er¬ ſchuͤttert hatte. Der Koͤnigs-Lieutenant hatte ſogleich befohlen, den Vater auf die Wache zu fuͤhren. Die Subalternen wußten wohl, daß ihm niemals zu widerſprechen war; doch hatten ſie ſich manchmal Dank verdient, wenn ſie mit der Ausfuͤhrung zauderten. Dieſe Geſinnung wußte der Gevatter Dolmetſch, den die Geiſtesgegenwart niemals verließ, aufs lebhafteſte bey ihnen rege zu machen. Der Tumult war ohnehin ſo groß, daß eine Zoͤgerung ſich von ſelbſt verſteckte und ent¬ ſchuldigte. Er hatte meine Mutter heraus¬ gerufen, und ihr den Adjutanten gleichſam in die Haͤnde gegeben, daß ſie durch Bitten und Vorſtellungen nur einigen Aufſchub erlan¬ gen moͤchte. Er ſelbſt eilte ſchnell hinauf zum Grafen, der ſich bey der großen Beherr¬ ſchung ſeiner ſelbſt ſogleich ins innre Zimmer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/245
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/245>, abgerufen am 09.11.2024.