Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Stühle ins Proscenium auf die Bühne selbst,
und es blieb den Helden und Heldinnen
nichts übrig, als in einem sehr mäßigen
Raume zwischen den Uniformen und Orden
ihre Geheimnisse zu enthüllen. Ich habe
die Hypermnestra selbst unter solchen Umstän¬
den aufführen sehen.

Der Vorhang fiel nicht zwischen den Ac¬
ten; und ich erwähne noch eines seltsamen
Gebrauchs, den ich sehr auffallend finden mu߬
te, da mir als einem guten deutschen Kna¬
ben das Kunstwidrige daran ganz unerträg¬
lich war. Das Theater nämlich ward als
das größte Heiligthum betrachtet und eine
vorfallende Störung auf demselben hätte als
das größte Verbrechen gegen die Majestät
des Publicums sogleich müssen gerügt werden.
Zwey Grenadiere, das Gewehr beym Fuß,
standen daher in allen Lustspielen ganz öffent¬
lich zu beyden Seiten des hintersten Vor¬
hangs, und waren Zeugen von allem was

Stuͤhle ins Proſcenium auf die Buͤhne ſelbſt,
und es blieb den Helden und Heldinnen
nichts uͤbrig, als in einem ſehr maͤßigen
Raume zwiſchen den Uniformen und Orden
ihre Geheimniſſe zu enthuͤllen. Ich habe
die Hypermneſtra ſelbſt unter ſolchen Umſtaͤn¬
den auffuͤhren ſehen.

Der Vorhang fiel nicht zwiſchen den Ac¬
ten; und ich erwaͤhne noch eines ſeltſamen
Gebrauchs, den ich ſehr auffallend finden mu߬
te, da mir als einem guten deutſchen Kna¬
ben das Kunſtwidrige daran ganz unertraͤg¬
lich war. Das Theater naͤmlich ward als
das groͤßte Heiligthum betrachtet und eine
vorfallende Stoͤrung auf demſelben haͤtte als
das groͤßte Verbrechen gegen die Majeſtaͤt
des Publicums ſogleich muͤſſen geruͤgt werden.
Zwey Grenadiere, das Gewehr beym Fuß,
ſtanden daher in allen Luſtſpielen ganz oͤffent¬
lich zu beyden Seiten des hinterſten Vor¬
hangs, und waren Zeugen von allem was

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0228" n="212"/>
Stu&#x0364;hle ins Pro&#x017F;cenium auf die Bu&#x0364;hne &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
und es blieb den Helden und Heldinnen<lb/>
nichts u&#x0364;brig, als in einem &#x017F;ehr ma&#x0364;ßigen<lb/>
Raume zwi&#x017F;chen den Uniformen und Orden<lb/>
ihre Geheimni&#x017F;&#x017F;e zu enthu&#x0364;llen. Ich habe<lb/>
die Hypermne&#x017F;tra &#x017F;elb&#x017F;t unter &#x017F;olchen Um&#x017F;ta&#x0364;<lb/>
den auffu&#x0364;hren &#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p>Der Vorhang fiel nicht zwi&#x017F;chen den Ac¬<lb/>
ten; und ich erwa&#x0364;hne noch eines &#x017F;elt&#x017F;amen<lb/>
Gebrauchs, den ich &#x017F;ehr auffallend finden mu߬<lb/>
te, da mir als einem guten deut&#x017F;chen Kna¬<lb/>
ben das Kun&#x017F;twidrige daran ganz unertra&#x0364;<lb/>
lich war. Das Theater na&#x0364;mlich ward als<lb/>
das gro&#x0364;ßte Heiligthum betrachtet und eine<lb/>
vorfallende Sto&#x0364;rung auf dem&#x017F;elben ha&#x0364;tte als<lb/>
das gro&#x0364;ßte Verbrechen gegen die Maje&#x017F;ta&#x0364;t<lb/>
des Publicums &#x017F;ogleich mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en geru&#x0364;gt werden.<lb/>
Zwey Grenadiere, das Gewehr beym Fuß,<lb/>
&#x017F;tanden daher in allen Lu&#x017F;t&#x017F;pielen ganz o&#x0364;ffent¬<lb/>
lich zu beyden Seiten des hinter&#x017F;ten Vor¬<lb/>
hangs, und waren Zeugen von allem was<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0228] Stuͤhle ins Proſcenium auf die Buͤhne ſelbſt, und es blieb den Helden und Heldinnen nichts uͤbrig, als in einem ſehr maͤßigen Raume zwiſchen den Uniformen und Orden ihre Geheimniſſe zu enthuͤllen. Ich habe die Hypermneſtra ſelbſt unter ſolchen Umſtaͤn¬ den auffuͤhren ſehen. Der Vorhang fiel nicht zwiſchen den Ac¬ ten; und ich erwaͤhne noch eines ſeltſamen Gebrauchs, den ich ſehr auffallend finden mu߬ te, da mir als einem guten deutſchen Kna¬ ben das Kunſtwidrige daran ganz unertraͤg¬ lich war. Das Theater naͤmlich ward als das groͤßte Heiligthum betrachtet und eine vorfallende Stoͤrung auf demſelben haͤtte als das groͤßte Verbrechen gegen die Majeſtaͤt des Publicums ſogleich muͤſſen geruͤgt werden. Zwey Grenadiere, das Gewehr beym Fuß, ſtanden daher in allen Luſtſpielen ganz oͤffent¬ lich zu beyden Seiten des hinterſten Vor¬ hangs, und waren Zeugen von allem was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/228
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/228>, abgerufen am 09.11.2024.