Ruhm erworben, daß ich gleich zu sagen wisse, was irgend ein historisches Bild vor¬ stelle, es sey nun aus der biblischen oder der Profangeschichte oder aus der Mythologie ge¬ nommen; und wenn ich auch den Sinn der allegorischen Bilder nicht immer traf, so war doch selten Jemand gegenwärtig, der es bes¬ ser verstand als ich. So hatte ich auch öf¬ ters die Künstler vermocht, diesen oder jenen Gegenstand vorzustellen, und solcher Vortheile bediente ich mich gegenwärtig mit Lust und Liebe. Ich erinnere mich noch, daß ich ei¬ nen umständlichen Aufsatz verfertigte, worin ich zwölf Bilder beschrieb, welche die Ge¬ schichte Josephs darstellen sollten: einige da¬ von wurden ausgeführt.
Nach diesen, für einen Knaben allerdings löblichen Verrichtungen, will ich auch einer kleinen Beschämung, die mir innerhalb dieses Künstlerkreises begegnete, Erwähnung thun. Ich war nämlich mit allen Bildern wohl be¬
Ruhm erworben, daß ich gleich zu ſagen wiſſe, was irgend ein hiſtoriſches Bild vor¬ ſtelle, es ſey nun aus der bibliſchen oder der Profangeſchichte oder aus der Mythologie ge¬ nommen; und wenn ich auch den Sinn der allegoriſchen Bilder nicht immer traf, ſo war doch ſelten Jemand gegenwaͤrtig, der es beſ¬ ſer verſtand als ich. So hatte ich auch oͤf¬ ters die Kuͤnſtler vermocht, dieſen oder jenen Gegenſtand vorzuſtellen, und ſolcher Vortheile bediente ich mich gegenwaͤrtig mit Luſt und Liebe. Ich erinnere mich noch, daß ich ei¬ nen umſtaͤndlichen Aufſatz verfertigte, worin ich zwoͤlf Bilder beſchrieb, welche die Ge¬ ſchichte Joſephs darſtellen ſollten: einige da¬ von wurden ausgefuͤhrt.
Nach dieſen, fuͤr einen Knaben allerdings loͤblichen Verrichtungen, will ich auch einer kleinen Beſchaͤmung, die mir innerhalb dieſes Kuͤnſtlerkreiſes begegnete, Erwaͤhnung thun. Ich war naͤmlich mit allen Bildern wohl be¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0216"n="200"/>
Ruhm erworben, daß ich gleich zu ſagen<lb/>
wiſſe, was irgend ein hiſtoriſches Bild vor¬<lb/>ſtelle, es ſey nun aus der bibliſchen oder der<lb/>
Profangeſchichte oder aus der Mythologie ge¬<lb/>
nommen; und wenn ich auch den Sinn der<lb/>
allegoriſchen Bilder nicht immer traf, ſo war<lb/>
doch ſelten Jemand gegenwaͤrtig, der es beſ¬<lb/>ſer verſtand als ich. So hatte ich auch oͤf¬<lb/>
ters die Kuͤnſtler vermocht, dieſen oder jenen<lb/>
Gegenſtand vorzuſtellen, und ſolcher Vortheile<lb/>
bediente ich mich gegenwaͤrtig mit Luſt und<lb/>
Liebe. Ich erinnere mich noch, daß ich ei¬<lb/>
nen umſtaͤndlichen Aufſatz verfertigte, worin<lb/>
ich zwoͤlf Bilder beſchrieb, welche die Ge¬<lb/>ſchichte Joſephs darſtellen ſollten: einige da¬<lb/>
von wurden ausgefuͤhrt.</p><lb/><p>Nach dieſen, fuͤr einen Knaben allerdings<lb/>
loͤblichen Verrichtungen, will ich auch einer<lb/>
kleinen Beſchaͤmung, die mir innerhalb dieſes<lb/>
Kuͤnſtlerkreiſes begegnete, Erwaͤhnung thun.<lb/>
Ich war naͤmlich mit allen Bildern wohl be¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[200/0216]
Ruhm erworben, daß ich gleich zu ſagen
wiſſe, was irgend ein hiſtoriſches Bild vor¬
ſtelle, es ſey nun aus der bibliſchen oder der
Profangeſchichte oder aus der Mythologie ge¬
nommen; und wenn ich auch den Sinn der
allegoriſchen Bilder nicht immer traf, ſo war
doch ſelten Jemand gegenwaͤrtig, der es beſ¬
ſer verſtand als ich. So hatte ich auch oͤf¬
ters die Kuͤnſtler vermocht, dieſen oder jenen
Gegenſtand vorzuſtellen, und ſolcher Vortheile
bediente ich mich gegenwaͤrtig mit Luſt und
Liebe. Ich erinnere mich noch, daß ich ei¬
nen umſtaͤndlichen Aufſatz verfertigte, worin
ich zwoͤlf Bilder beſchrieb, welche die Ge¬
ſchichte Joſephs darſtellen ſollten: einige da¬
von wurden ausgefuͤhrt.
Nach dieſen, fuͤr einen Knaben allerdings
loͤblichen Verrichtungen, will ich auch einer
kleinen Beſchaͤmung, die mir innerhalb dieſes
Kuͤnſtlerkreiſes begegnete, Erwaͤhnung thun.
Ich war naͤmlich mit allen Bildern wohl be¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/216>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.